Das Mitternachtskleid
Gesicht. »Oh nein!«, stieß sie hervor. »Wie soll er denn ohne mich zurechtkommen?«
Und von da an … ging alles schief, was noch schiefgehen konnte. Dabei geschah doch alles nur in bester Absicht, weil die Frau so niedergeschlagen war. »Wissen Sie was? Ich kann Ihnen ja wenigstens die Küche putzen«, erklärte Tiffany munter. Gegen dieses Angebot wäre an sich auch nichts einzuwenden gewesen, wenn sie kurzerhand zum Besen gegriffen und sich ans Werk gemacht hätte. Aber nein, sie musste ja unbedingt den Blick zu der grauen, mit Spinnweben überzogenen Decke richten und sagen: »Na gut, ich weiß, dass ihr da seid; ihr verfolgt mich doch ständig auf Schritt und Tritt. Also macht euch nützlich und bringt die Küche gründlich auf Vordermann!« Sekundenlang geschah gar nichts, doch dann hörte sie, weil sie die Ohren danach spitzte, einen gedämpften Wortwechsel aus dem Gebälk.
»Habt ihr gehört? Sie weiß, dass wir hier sind! Wie kommt’s, dass sie immer richtig liegt?«
Eine andere Größten-Stimme antwortete: »Weil wir ihr immer nachlaufen, du Hirni!«
»Schon klar, das weiß ich selber. Ich will auf was andres raus: Ham wir nich fest versprochen, dass wir ihr nich mehr nachlaufen?«
»Doch, da ham wir ihr sogar unsern feierlichen Eid drauf gegeben.«
»Eben. Deswegen bin ich auch ’n klein bisschen enttäuscht, dass die große kleine Hexe so’n heiliges Versprechen überhaupt nich ernst nimmt. Wie kannse bloß so auf unsern Gefühlen rumtrampeln?«
»Aber wir ham den feierlichen Eid doch selber gebrochen – wie sich das für uns gehört.«
Eine dritte Stimme mischte sich ein: »Zack, zack, Leute. Sie klopft schon mit dem Fuß auffen Boden. Raus aussm Quark und ran annen Speck!«
Schon tobte ein Wirbelwind durch die kleine Küche. 17 Schäumendes Wasser schwappte um Tiffanys Füße, die bis eben tatsächlich einen ungeduldigen Rhythmus geklopft hatten. Eins steht fest: Obwohl niemand so schnell ein absolutes Chaos anrichten kann wie eine Horde Kobolde, macht ihnen seltsamerweise bei der Beseitigung eines solchen ebenfalls niemand etwas vor. Und dabei kommen sie auch noch ganz ohne die Hilfe von Feenvögeln, Täubchen oder sonstigem Waldgetier aus. Im Handumdrehen war der Ausguss leer, im Handumdrehen voll mit Seifenlauge. Holzteller und Blechtassen schwirrten durch die Luft, im Ofen brannte ein Feuer, und rumms, rumms, rumms flogen Scheite in die Feuerholzkiste. Dann legten die Größten noch einen Zahn zu. Neben Tiffanys Ohr bohrte sich zitternd eine Gabel in die Wand. Dampfwolken, aus denen seltsame Geräusche drangen, waberten wie Nebelschwaden; die Sonne flutete durch das schlagartig blitzblanke Fenster herein und zauberte Regenbögen in die Küche; ein Besen schoss vorbei und schob das restliche Wasser vor sich her; der Kessel kochte; eine Vase mit Blumen – Stängel in die Höh′ — zierte den Tisch, und plötzlich war der Raum frisch und sauber und stank auch nicht mehr nach verfaulten Kartoffeln.
Tiffany sah nach oben. Die Katze krallte sich mit allen vier Pfoten in einen Deckenbalken und musterte sie mit einem Blick, der sich gewaschen hatte. Was gegenüber einer Hexe eine reife Leistung ist, vor allem kopfüber.
Nach einigem Suchen gelang es Tiffany, Frau Micker ausfindig zu machen. Sie hatte sich unter dem Tisch verkrochen und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, so dass Tiffany sie nur durch gutes Zureden wieder hervorlocken konnte. Als Frau Micker endlich auf einem pieksauberen Stuhl saß, vor sich eine fleckenlose Tasse mit frisch aufgebrühtem Tee, konnte sie gar nicht oft genug beteuern, wie viel besser die Küche nun aussah – obwohl Tiffany sich später eingestehen musste, dass die Frau wahrscheinlich jeden Meineid geschworen hätte, nur um Tiffany aus dem Haus zu bekommen.
Also kein Erfolg auf der ganzen Linie, aber wenigstens war die Küche jetzt geputzt, und Frau Micker würde ihr schon noch dankbar sein, wenn sie den ersten Schock überwunden hatte. Während Tiffany durch den verlotterten Garten ging, hörte sie aus dem Haus ein Fauchen und einen dumpfen Aufschlag – vermutlich von der Katze, die doch noch den Absprung geschafft hatte.
Sie war, den Besen über der Schulter, schon halb zu Hause, als sie laut vor sich hindachte: »Vielleicht war das Ganze keine so blendende Idee …«
»Mach dir keinen Kopf«, sagte eine Stimme. »Wir ham bloß nich genug Zeit gehabt, sonst hätt’n wir auch noch ’n Brot gebacken.« Tiffany sah nach unten. Vor ihr
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