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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Dieser gewisse Ton, den ein Erwachsener anschlägt, wenn er zu einem Kind sagt: »Na, das macht aber Spaß!«, für den Fall, dass das Kind nicht schon von selbst darauf gekommen ist. Aber Amber sah wirklich so aus, als hätte sie Spaß. Tiffany kam der Gedanke, dass es sie glücklich machte, unter den Größten zu sein.
    Da die Kelda offenbar kein ernstes Thema anschneiden wollte, fragte sie: »Wozu soll das gut sein? Wer würde denn auf die Idee kommen, sie zu stehlen?«
    »Andere Größte natürlich. Mein Rob meint, dass die anderen Schlange stehen werden, um unsere Schnecken zu stehlen, sobald sie unbewacht sind.«
    Tiffany war verwirrt. »Und wieso sollten sie unbewacht sein?«
    »Weil meine Jungs nicht auf sie aufpassen können, wenn sie die Herden der anderen stehlen. Das ist eine alte Größten-Tradition. Dadurch kommt keiner zu kurz beim Kämpfen, Klauen und Raufen – und vor allem nicht beim Saufen.« Die Kelda zwinkerte Tiffany zu. »Es hält sie bei Laune und vor allem davon ab, uns ständig zwischen den Beinen herumzuwuseln. «
    Sie zwinkerte noch einmal, tätschelte dann Ambers Bein und sagte ein paar Worte in einer sehr alt klingenden Version der Größten-Sprache zu ihr. Amber antwortete in derselben Sprache. Die Kelda nickte Tiffany vielsagend zu und deutete auf das andere Ende der Grube.
    »Was hast du zu ihr gesagt?«, fragte Tiffany mit einem Blick auf das Mädchen, das den Größten noch immer lächelnd und mit gebanntem Interesse zusah.
    »Dass wir zwei ein Gespräch unter Erwachsenen führen müssen«, antwortete die Kelda. »Sie hat bloß gesagt, dass sie die Jungs sehr lustig findet. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte, aber irgendwie hat sie die Mutter aller Zungen aufgeschnappt. Tiffany, ich benutzte sie nur, wenn ich mit meinen Töchtern oder dem Dudler 15 spreche. Und als ich mich gestern Nacht auf dem Erdhügel mit ihm unterhalten habe, beteiligte sie sich auf einmal am Gespräch. Sie hat sich die Sprache einfach abgelauscht ! So etwas dürfte es eigentlich gar nicht geben! Sie hat eine sehr seltene Gabe, keine Frage. Offenbar kommen ihr die Bedeutungen einfach so in den Kopf, und das ist Magie, kleines Fräulein. Waschechte Magie, da gibt es kein Vertun.«
    »Wie konnte das geschehen?«
    »Wer weiß?«, sagte die Kelda. »Es ist eine Gabe. Und wenn ich dir einen Rat geben darf, nimmst du dieses Mädchen in die Lehre.«
    »Ist sie dafür nicht ein bisschen zu alt?«, fragte Tiffany.
    »Entweder du bringst ihr dein Handwerk bei, oder du suchst ein anderes Ventil für ihr Talent. Glaub mir, mein Kind, ich wäre die Letzte, die behaupten würde, es könnte eine gute Sache sein, ein Mädchen fast tot zu prügeln. Aber wer weiß schon, welcher Weg für uns bestimmt ist? Nur deshalb ist sie jetzt jedenfalls hier, bei mir. Sie besitzt die Gabe des Verstehens. Hätte Amber sie sonst gefunden? Du weißt ganz genau, dass der Sinn des Lebens darin besteht, seine Gabe zu suchen. Sie zu finden, bedeutet Glück. Sie nicht zu finden, bedeutet Elend. Du hast gesagt, sie sei ein bisschen einfach gestrickt: Such ihr einen Lehrer, der das Komplizierte aus ihr herauskitzeln kann. Das Mädchen hat eine schwierige Sprache allein durchs Zuhören gelernt. Die Welt hat Menschen, die so etwas können, bitter nötig.«
    Was die Kelda da sagte, hatte Hand und Fuß. Wie alles, was sie von sich gab.
    Nach einer kurzen Pause fuhr Jeannie fort: »Es tut mir sehr leid, dass der Baron tot ist.«
    »Entschuldige bitte«, antwortete Tiffany. »Ich hatte es dir sagen wollen.«
    Die Kelda lächelte. »Meinst du wirklich, einer Kelda müsste man so etwas erst erzählen, mein Kind? Er war ein anständiger Mann, und du warst anständig zu ihm.«
    »Ich muss den neuen Baron finden«, sagte Tiffany. »Und dabei brauche ich eure Hilfe. In der Stadt leben Tausende von Menschen, und deine Jungs sind wahre Meister im Aufspüren.« 16 Sie sah zum Himmel. Tiffany, die den Weg in die große Stadt noch nie allein geflogen war, wollte den langen Flug keineswegs im Dunkeln antreten. »Im Morgengrauen breche ich auf. Aber vorher bringe ich lieber noch Amber nach Hause. Das möchtest du doch auch, nicht wahr, Amber?«, fügte sie ohne allzu große Hoffnung hinzu …
     
    Als Tiffany eine Dreiviertelstunde später mit ihrem Besen auf das Dorf zusteuerte, gellten ihr die Schreie noch immer in den Ohren. Amber wollte nicht zurück. Das hatte sie ihr mehr als deutlich zu verstehen gegeben, indem sie sich mit Armen und Beinen in dem

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