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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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hätte er so etwas noch nie im Leben gesehen, dann versteckte er es hinter dem Rücken und starrte auf seine Füße, was unter den gegebenen Umständen ziemlich mutig von ihm war. »Weiß ich auch nich, Meisterin.«
    »Es ist nämlich so«, fuhr Tiffany, vom Wind umpeitscht, fort. »Wenn dem Besen Borsten fehlen, kann ich ihn nicht mehr so gut lenken, und wir verlieren an Höhe. Was aber leider nicht für die Geschwindigkeit gilt. Weißt du vielleicht einen Ausweg aus diesem Dilemma, Wullie?«
    Der Doofe Wullie stocherte mit dem kleinen Finger in seinem Ohr herum, als müsste er in seinem Gehirnkasten nach einer Antwort kramen. Dann hellte sich seine Miene auf. »Wie wärs, wenn wir landen?«
    Tiffany seufzte. »Das würde ich gern machen, Doofer Wullie, aber es gibt da ein Problem: Wir sind schnell, die Erde nicht. Was dabei herauskommt, nennt man eine Bruchlandung. «
    »Ich mein ja auch gar nich, dass wir aufm Erdboden landen solln«, sagte Wullie. »Aber wie wärs denn damit ?«
    Tiffany folgte seinem ausgestreckten Zeigefinger. Unter ihnen erstreckte sich eine lange weiße Straße, auf der sich – nicht allzu weit voraus – etwas Rechteckiges fortbewegte, und zwar fast genauso schnell wie der Besen. Sie lauschte einen Augenblick dem Klicken der Rechenmaschine in ihrem Kopf und sagte dann: »Ein bisschen langsamer müssten wir vorher aber trotzdem noch werden …«
    Und so kam es, dass ein qualmender Besen mit einer vor Angst schlotternden Hexe und ungefähr zwei Dutzend Wir-sind-die-Größten – die ihre Kilts wie Bremsschirme aufhielten – punktgenau auf dem Dach des Lancre-Ankh-Morpork-Paketexpress notlandete.
    Die Kutsche war gut gefedert, und der Fahrer brachte die Pferde ziemlich schnell wieder unter Kontrolle. Während er von seinem Sitz kletterte und sich der weiße Staub wieder auf die Straße legte, blieb alles still. Der Kutscher, ein schwerer Mann, der sich bei jedem Schritt vor Schmerzen krümmte, hielt in der einen Hand ein angebissenes Käsebrot und in der anderen – unverkennbar – ein Bleirohr. Er runzelte die Stirn. »Darüber muss ich Meldung machen. Der Lack ist ab. Bei einem Lackschaden komm ich um einen Bericht nicht drumrum. Ich hasse Berichte, hab schon immer mit den Wörtern zu kämpfen gehabt. Aber bei einem Lackschaden bleibt mir gar nichts anderes übrig.« Die Stulle – und vor allem das Bleirohr – verschwanden in seinem geräumigen Mantel. Tiffany staunte selbst, wie froh sie das stimmte.
    »Es tut mir sehr, sehr leid«, sagte sie, als ihr der Mann vom Dach der Kutsche herunterhalf.
    »Um mich geht’s ja nicht, nur um den Lack. Wie oft hab ich‘s denen da oben nicht schon gesagt: Da draußen gibt es Trolle, da draußen gibt es Zwerge . Die fahren wie die Henker und meistens auch noch mit zugekniffenen Augen, weil sie die Sonne nicht vertragen.«
    Während er sich den Schaden genauer ansah, fiel sein Blick plötzlich auf den spitzen Hut.
    »Aha«, sagte er ausdruckslos. »Eine Hexe. Tja, es muss wohl für alles ein erstes Mal geben. Wissen Sie, was für eine Ladung ich hier transportiere, Fräulein?«
    Was könnte es wohl im allerschlimmsten Fall sein?, dachte Tiffany. »Eier?«
    »Ha«, machte der Mann. »Schön wär’s. Spiegel sind’s, Fräulein. Ein Spiegel, um genau zu sein. Und der ist noch nicht mal flach, sondern eine Kugel, hab ich gehört. Verpackt wie ein rohes Ei, haben sie mir erzählt, aber da wusste ja auch noch keiner, dass jemand vom Himmel auf ihn runterkrachen würde.« Er klang nicht wütend, nur resigniert, als hätte er sich damit abgefunden, dass ihm die Welt das Brot sowieso immer mit der Marmeladenseite nach unten vor die Füße schmeißen würde. »Zwerge haben das Ding gebaut«, fügte er hinzu. »Es soll über tausend Ankh-Morpork-Dollar gekostet haben. Und wollen Sie wissen, wofür es gedacht ist? Es soll in der Stadt in einem großen Saal aufgehängt werden, wo die Leute Walzer tanzen. Eine Freizeitbeschäftigung, von der eine wohlerzogene junge Dame wie Sie wohl noch nie was gehört haben dürfte, weil dieses Walzertanzen, so steht es jedenfalls in der Zeitung, ein Ringelpiez mit Anfassen ist, der zu lästerlichem Treiben führt und die Leute verdirbt.«
    »Sapperlot!«, sagte Tiffany, da sie das Gefühl hatte, dass eine derartige Bemerkung von ihr erwartet wurde.
    »Na, dann wollen wir uns die Bescherung mal anschauen«, meinte der Fahrer und öffnete ächzend den hinteren Wagenschlag. Eine große Kiste nahm fast den gesamten Raum ein.

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