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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Vergangenheit vorgefallen war, diese Bemerkung konnte Tiffany nicht unwidersprochen lassen. »Herzlichen Dank, aber ich kann gut darauf verzichten, dass mir irgendjemand die Stiefel oder sonst was leckt. Außerdem ist er auch gar nicht Ihr Baron, oder?«, fügte sie hinzu. »Die Größten sind doch so stolz darauf, dass sie keinen Herrn haben.«
    »Diese Überlegung ist durchaus korrekt«, sagte der Kröterich gewichtig. »Aber Sie dürfen dabei nicht außer Acht lassen, dass sie genauso stolz darauf sind, aus nichtigem Anlass Unmengen zu trinken, wodurch sie unberechenbar werden. Und bedenken Sie bitte auch, dass der Baron der festen Überzeugung ist, de facto Eigentümer aller umliegenden Ländereien zu sein. Ein Anspruch, mit dem er vor Gericht einen sehr guten Stand hätte. Was man von meiner Wenigkeit ja leider nicht mehr behaupten kann. Doch um noch einmal auf das Mädchen zurückzukommen. Ein sonderbares Geschöpf. Ist Ihnen das noch gar nicht aufgefallen? «
    Tiffany überlegte. Inwiefern hätte ihr denn an Amber etwas auffallen müssen? Sie war nur ein Kind 14 — nicht so still, dass man sich sorgen musste, aber auch nicht so laut, dass sie einen störte. Das war alles. Doch dann fiel ihr die Sache mit den Hühnern wieder ein. Das war allerdings sehr sonderbar gewesen.
    »Sie spricht die Größten-Sprache!«, sagte der Kröterich. »Und damit meine ich nicht das übliche Potzblitz-Gezeter, das ist lediglich die Mundart. Nein, ich meine die alte Ursprache der Kelda, die die Größten da gesprochen haben, wo sie herstammen, bevor sie von hier stammten. Es tut mir leid, hätte ich mich etwas präparieren können, wäre mir mit Sicherheit eine bessere Satzkonstruktion gelungen.« Er legte eine Pause ein. »Ich persönlich beherrsche kein einziges Wort der Größten-Sprache, dem Mädchen dagegen scheint sie nur so zugeflogen zu sein. Und noch etwas: Ich könnte schwören, dass sie versucht hat, sich mit mir auf Krötisch zu unterhalten. Ich spreche es zwar nicht besonders gut, aber einige Grundkenntnisse sind bei dem … Gestaltwandel doch auf mich übergegangen.«
    »Meinst du damit, dass sie ungewöhnliche Wörter versteht? «, fragte Tiffany.
    »Schon möglich«, antwortete der Kröterich. »Aber ich glaube eher, sie versteht Bedeutungen.«
    »Bist du sicher?«, sagte Tiffany. »Ich dachte immer, sie wäre ein bisschen einfach gestrickt.«
    »Einfach gestrickt?« Der Kröterich schien sich köstlich zu amüsieren. »Nun, als Anwalt kann ich Ihnen sagen, dass etwas, das zunächst einfach aussieht, in Wahrheit unendlich kompliziert sein kann – insbesondere dann, wenn ich nach einem festen Stundensatz honoriert werde. Die Sonne ist einfach. Ein Schwert ist einfach. Ein Unwetter ist einfach. Jede noch so einfache Sache zieht einen ganzen Rattenschwanz von Komplikationen hinter sich her.«
    Amber streckte den Kopf aus dem Loch. »Frau Kelda erwartet dich in der Grube«, sagte sie aufgeregt.
    Als Tiffany vorsichtig durch das Tarngestrüpp hinunterstieg, drang von unten gedämpfter Jubel herauf.
    Sie mochte die Kreidegrube. Sie erschien ihr als ein Ort, an dem man niemals wirklich unglücklich sein konnte – so geborgen fühlte sie sich zwischen den feuchten weißen Wänden und im Sonnenschein des blauen Tages, der durch das Dornendickicht piekte. Als kleines Mädchen hatte sie manchmal Urfische in die Kreidegrube hinein- und wieder herausschwimmen sehen, alte Fische aus der alten Zeit, als die Kreide noch das Land unter den Wellen gewesen war. Es gab zwar schon lange kein Wasser mehr, aber die Seelen der Geisterfische hatten davon wohl nichts mitbekommen. Sie waren gepanzert wie Ritter und so alt wie der Kalkstein. Doch in letzter Zeit hatte Tiffany sie nicht mehr gesehen. Vielleicht sah man anders, wenn man älter wurde.
    Es roch kräftig nach Knoblauch. Der Grund der Grube war mit Schnecken übersät. Größte bewegten sich vorsichtig zwischen ihnen hin und her und malten ihnen Nummern auf die Häuser. Amber saß, die Hände um ihre Knie geschlungen, neben der Kelda. Von oben sah die Szene aus wie eine Leistungsprüfung für Hütehunde, nur mit weniger Gebell und mehr klebrigem Schleim.
    Als die Kelda Tiffany erblickte, legte sie den Finger auf die Lippen und deutete mit einem Kopfnicken auf Amber, die ganz in das Geschehen versunken war. Sie klopfte auf den Platz neben sich und sagte: »Wir sehen gerade dabei zu, wie die Burschen unsere Herde markieren.« In ihrer Stimme schwang ein seltsamer Unterton mit.

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