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Das Mitternachtskleid

Das Mitternachtskleid

Titel: Das Mitternachtskleid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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ihren Füßen. Mit einem metallischen Schnarren tat sich die Erde auf: aber nur ungefähr sechs Fuß tief. Während sie noch schwankend versuchte, im Dunkeln unter dem Bürgersteig ihr Gleichgewicht wiederzufinden, schob sich jemand mit einem fröhlichen »Entschuldigung« an ihr vorbei. Es schabte noch einmal blechern, und das runde Loch über ihr verschwand.
    »Das nenne ich Glück«, sagte die höfliche Stimme. »Aber wahrscheinlich das letzte bisschen Glück des Tages. Wenn es irgendwie geht, gerate bitte nicht in Panik, bis ich die Sturmlaterne angezündet habe. Falls du danach die Nerven verlieren möchtest – bitteschön. Bleib dicht hinter mir, und wenn ich sage: ›Geh, so schnell du kannst, und halte dabei die Luft an‹, dann tust du es lieber, so dir dein Verstand, deine Kehle und womöglich auch dein Leben lieb sind. Du brauchst es nicht zu verstehen, du musst es nur tun. Es kann nämlich gut sein, dass uns nicht viel Zeit bleibt.«
    Ein Zündholz flammte auf. Tiffany hörte ein leises Plopp und sah direkt vor ihrer Nase einen blaugrünen Schein. »Ist nur Sumpfgas«, sagte die unsichtbare Stimme. »Aber es ist nicht so schlimm, du brauchst dir noch keine Sorgen zu machen. Und nicht vergessen, immer schön nah an mir dranbleiben! «
    Der blaugrüne Schein setzte sich so schnell in Bewegung, dass Tiffany kaum Schritt halten konnte. Und es war eine beachtliche Leistung, dass sie überhaupt mitkam, da der Untergrund abwechselnd aus Kies, Schlamm oder einer unbekannten Flüssigkeit bestand, die sie aber auch gar nicht näher kennenlernen wollte. Hier und da schimmerten weitere geheimnisvolle Lichter, wie Irrlichter im Moor.
    »Nicht zurückbleiben!«, ermahnte die Stimme.
    Bald hatte Tiffany die Orientierung und obendrein jegliches Zeitgefühl verloren.
    Dann machte es klick, und die Umrisse der Gestalt waren vor einer Tür zu erkennen, die vollkommen normal aussah, abgesehen davon, dass sie – weil sie in einen Spitzbogen eingelassen war – oben eben spitz zulief.
    »Bitte sei so gut und putz dir drinnen die Füße sehr gründlich auf der Matte ab. Hier unten kann man gar nicht vorsichtig genug sein.«
    Hinter dem Schemen entzündeten sich von selbst ein paar Kerzen und warfen ihr Licht auf eine Person in schwerer, steifer Kleidung, mit großen Stiefeln und einem stählernen Helm, den sie jedoch, noch während Tiffany sie betrachtete, vorsichtig abnahm. Zum Vorschein kam eine Frau mit Pferdeschwanz, der darauf schließen ließ, dass sie jung war, auch wenn ihr schlohweißes Haar darauf hindeutete, dass sie alt war. Sie gehörte offenbar zu den Leuten, die sich irgendwann ein Aussehen zulegen, das ihnen steht und zu ihnen passt und sich nie mehr verändert, bis sie sterben. Die Frau hatte Falten und den geschäftigen Blick eines Menschen, der an mehrere Dinge zugleich, beziehungsweise an alles auf einmal denken musste. In dem Zimmer stand ein Tisch mit einer Teekanne, Tassen und einem Berg kleiner Küchlein.
    »Hereinspaziert in die gute Stube«, sagte die Frau. »Herzlich willkommen. Aber ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Fräulein … Schmied. Ja, das müsste für den Augenblick reichen. Frau Prust hat mich vielleicht schon erwähnt? Und du befindest dich hier mitten in den Mobilien, dem höchstwahrscheinlich instabilsten Ort auf der ganzen Welt. Darf ich dir ein Tässchen Tee anbieten?«
     
    Meistens sieht doch alles schon sehr viel besser aus, wenn die Welt aufgehört hat, sich zu drehen, und man ein warmes Getränk vor sich hat, auch wenn das nur auf einer alten Kiste steht.
    »Ein Palast ist es leider nicht«, sagte Fräulein Schmied. »Ich halte mich hier nie länger als ein paar Tage am Stück auf, aber ich muss immer in der Nähe der Universität sein, und ich brauche meine Privatsphäre. Früher war das hier eine kleine Kate außerhalb des Universitätsgeländes, und die Zauberer haben ihren ganzen Müll einfach über die Mauer geworfen. Irgendwann fingen diese magischen Abfälle an, auf eine – gelinde ausgedrückt – höchst unberechenbare Weise miteinander zu reagieren. Ratten lernten sprechen, Augenbrauen wurden bis zu sechs Fuß lang, Schuhe liefen von alleine durch die Gegend. Die Leute aus der Nachbarschaft hielten es schon bald nicht mehr aus und suchten das Weite – genau wie ihre Schuhe. Und nachdem also keiner mehr da war, der sich beschweren konnte, hat die Universität eben noch mehr Müll über die Mauer geworfen. In dieser Hinsicht sind Zauberer wie

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