Das Mitternachtskleid
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»Keine Obszönitäten, bitte! Das vertrag ich nicht«, sagte Frau Prust streng.
Ach nein?, dachte Tiffany. Obwohl du das halbe Schaufenster voller aufblasbarer rosa Dingsbumse und anderer rätselhafter Erzeugnisse hast, die ich nicht genau erkennen konnte? Aber die Welt wäre nicht mehr dieselbe, wenn wir alle gleich wären – und vor allem, wenn wir alle wären wie Frau Prust.
Über sich hörte sie das Wispern der Größten, aus dem das Gejammer des Doofen Wullie etwas lauter hervorstach als sonst. »Ich habs euch gesagt. Hab ichs euch nich gesagt? Ich hab gesagt, dass es falsch rum is. Aber, nee, ihr wolltet ja nich auf mich hörn! Ich bin vielleicht doof, aber ich bin nich blöd.«
Bis zu des Königs Kopf beziehungsweise dem Teil seiner Anatomie, um den es sich inzwischen handelte, war es nicht weit, aber die Hexen mussten sich ihren Weg schon mindestens hundert Schritte davor durch einen Auflauf von Schaulustigen bahnen, der sich überwiegend aus Leuten mit Bierkrügen in den Händen zusammensetzte. Sowohl Frau Prust als auch Tiffany trugen genagelte Stiefel – eine segensreiche Fußbekleidung für jeden, der sich eilig durch eine Menschenmenge hindurchkämpfen muss. Bald schon sahen sie es vor sich: des Königs Rücken, wie wir es mit vornehmer Zurückhaltung nennen wollen, auch wenn den Größten mit Sicherheit ein anderes Wort dafür eingefallen wäre. Vor dem Hinterausgang, der die Dienste des Vordereingangs übernehmen musste, stand der Wirt, Herr Rammbär, der mit der einen Hand servierte und mit der anderen kassierte. Er machte ein Gesicht wie eine Katze, wenn es Mäuse regnet.
Während er sich für seine Kunden so heldenhaft ins Zeug legte, fand er zwischendurch sogar noch die Zeit, einige Worte mit einer dünnen, energisch wirkenden Frau zu wechseln, die das Gespräch in ihrem Notizbuch aufzeichnete.
Frau Prust stieß Tiffany in die Seite. »Siehst du die da? Das ist Fräulein Kratzgut von der Times , und da drüben – « Sie zeigte auf einen großen Mann in Uniform – »der Mann, der neben ihr steht? Das ist Kommandeur Mumm von der Stadtwache. Anständiger Kerl, macht immer ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter, lässt nicht mit sich spaßen. Jetzt wird’s spannend. Er hat nämlich was gegen Könige, ganz egal, was für welche. Einer seiner Vorfahren hat dem letzten König, den wir hatten, den Kopf abgeschlagen.«
»Wie schrecklich! Hatte er das verdient?«
Frau Prust zögerte kurz. »Also, wenn es stimmt, was man in seinem Privatverlies gefunden haben soll, dann lautet die Antwort ›ja‹, und zwar in dicken, fetten Großbuchstaben. Dem Vorfahren des Kommandeurs wurde trotzdem der Prozess gemacht, weil das Köpfen von Königen anscheinend nicht so gut ankommt. Auf der Anklagebank soll er gesagt haben: ›Und hätte das Ungeheuer einhundert Köpfe besessen, ich hätte nicht eher gerastet noch geruht, als bis ich ihm jeden einzelnen abgeschlagen hätte.‹ Was man als Schuldeingeständnis gewertet hat. Er wurde gehängt. Dass man ihm später ein Standbild gesetzt hat, verrät einem mehr über die Natur des Menschen, als man unbedingt wissen möchte. Sein Spitzname war Altes Steingesicht. Wie du siehst, liegt die steinerne Miene in der Familie.«
Tiffany sah es deutlich – umso deutlicher, weil der Kommandeur zielstrebig auf sie zusteuerte. Seine Miene war die eines Mannes, der viel zu erledigen hatte, und zwar durchweg Dinge, die um einiges wichtiger waren als diejenigen, die ihn momentan in Anspruch nahmen. Er nickte Frau Prust respektvoll zu und versuchte erfolglos, Tiffany nicht mit wütenden Blicken zu durchbohren.
»Waren Sie das?«
»Nein, Herr Kommandeur!«
»Wissen Sie, wer das war?«
»Nein, Herr Kommandeur!«
Er runzelte die Stirn. »Junge Dame, wenn sich ein Einbrecher gewaltsam Zutritt in ein Haus verschafft und später zurückkommt, um die Beute wieder an ihren Platz zu legen, ist und bleibt es trotz allem ein Verbrechen. Und wenn ein Gebäude, das samt seines Mobiliars mutwillig demoliert wurde, am nächsten Morgen wieder wie neu dasteht, wenn auch verkehrt herum, dann ist und bleibt das ebenfalls ein Verbrechen, und alle daran Beteiligten müssen als Mittäter eingestuft werden. Nur habe ich leider keine Ahnung, wie ich dieses Verbrechen überhaupt nennen soll, und es wäre mir, ehrlich gesagt, am liebsten, ich hätte diese ganze verdammte Geschichte vom Hals. «
Tiffany blinzelte. Den letzten Satz hatte sie nicht gehört , aber sie konnte sich trotzdem daran
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