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Das mittlere Zimmer

Das mittlere Zimmer

Titel: Das mittlere Zimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Lempke
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einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab und sah Rike mit seinen fasziniere nden Augen in der Farbe hellen Bernsteins ernst, eindringlich und länger an, als angebracht war.
    „Nero war gar nicht mehr so krank. Er humpelte schon seit Tagen durch die Gegend“ , erläuterte der Doktor sachlich, und ließ seinen Blick endlich zu einem blauen Hängeregal wandern, auf dem drei uralte Kaffeemühlen aufgereiht waren. „Ich kann mir das nur so erklären: ich bin heute früh von Bauer Eggers zu einem Notfall gerufen worden, also hat Helga den Hund versorgt. Als sie ihm den Futternapf auf den Boden gestellt hat, hat sie ihn wahrscheinlich dabei gestreichelt. Sie ist versehentlich an seine Wunde gekommen, und der Hund biss reflexartig zu. Hunde machen das, und sein Gebiss ist für sein Alter verdammt gut in Schuss.“
    „Furchtbar“ , murmelte Rike und schaute verstohlen durch die Küche. Helga Wolter würde nie wieder durch das Haus gehen, nie wieder ihren Mann in den Arm nehmen. Rike empfand großes Mitgefühl für den Doktor. Er selbst hatte noch keine einzige Träne vergossen. Sicher stand er unter Schock.
    Als er aufstand, um Kaffee nachzuschenken, fischte Rike schnell ein Tasche ntuch aus der Hosentasche und tupfte sich die Augen ab. Der Doktor setzte sich wieder und murmelte: „Würden Sie mir einen Gefallen tun und ein Beerdigungsinstitut anrufen? Ich ... ich kann das jetzt nicht.“
    „Natürlich. Haben Sie ein Telefonbuch?“
    „Im Wohnzimmer. Im Schränkchen unter dem Telefon.“
    Also rief Rike einen Bestatter an.
    „Der Mann vom Institut kommt in einer Stunde vorbei, um alles mit Ihnen zu besprechen. Höpfner heißt er“, informierte sie Wolter, der gebeugt am Tisch saß und in seine Tasse starrte. „Ist Ihnen das recht?“
    „Sicher. Danke.“ Er schwieg eine Weile, begann dann über seine Frau zu reden, erinnerte sich an schöne Tage, an Krisen und Sorgen und an die Zeit, als er Helga kennen lernte. Und so erfuhr Rike eher nebenbei, dass Wolter und seine Frau erst seit neun Jahren verheiratet gewesen waren.
    „Dann waren Sie vorher schon mal verheiratet?“ , fragte Rike.
    Der Doktor nickte.
    „Sie sind also geschieden?“, hakte Rike nach.
    Der Doktor schüttelte den Kopf.
    „Heißt das, Ihre erste Frau ist ... äh ... also ... auch verstorben?“
    „Sie war nicht meine erste Frau. Aber darüber möchte ich jetzt nicht reden.“ Wolter schenkte ihr einen eigenartigen Blick. Fast hätte man meinen können, ein angede utetes Lächeln spiele um seine Lippen.
    Rike sah weg. Sie hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl im Magen. Nicht die erste Eh efrau? Die wievielte denn dann? Waren die anderen auch durch so ungewöhnliche Unfälle zu Tode gekommen? Oder ging am Ende ihre Phantasie mit ihr durch? Kein Wunder nach den Ereignissen der letzten Wochen!
    „Kann ich bitte noch einen Kaffee haben?“
    Der Doktor schenkte ihr nach, und Rike hatte keine Ahnung, worüber sie nun mit ihm reden sollte. Sie hatte Glück. Kaum hatte sich Wolter wieder gesetzt, als es unten an der Haustür klingelte.
    „Das ist sicher Herr Höpfner “, sagte sie.
    Wolter erhob sich, meinte „Ich lasse ihn mal eben rein“ , und ging aus dem Zimmer.
    „Ach wissen Sie was, ich mache mich jetzt auf den Heimweg!“ , rief Rike, trank schnell noch ein paar Schlucke Kaffee und eilte hinter Wolter her.
    Unten im Flur verabschiedete sie sich mit einem kurzen Händedruck, sah ihm nur flüchtig ins Gesicht, riss die Tür auf und floh am verdutzten Bestattungsunternehmer Höpfner vorbei aus dem Haus. Sie fuhr in die Stadt und lief durch die Straßen, ohne eine einzige Schaufensterauslage wahrzunehmen. Ihr Gehirn spulte wieder und wieder die merkwürdige Begegnung mit Wolter ab. Die Umarmung, die Blicke, das Rätsel um die verstorbenen Ehefrauen. Was sollte sie davon halten?
    Zu Hause erzählte sie Achim von Frau Wolters Tod. Seine Reaktion war uninteressiertes Schweigen. Er hatte genug mit sich selbst zu tun, sah immer wieder auf Uhren und arbeitete wie ein Besess ener an der Garage oder auf dem Dachboden.
    Am Samstagvormittag fand Rike einen schwarzumrandeten Brief im Briefkasten. Die Beerd igung von Helga Wolter sollte am Mittwoch um 10.00 Uhr stattfinden. Auf der Rückseite des Briefes hatte Wolter handschriftlich notiert: ,Liebe Frau Eberhardt, würden Sie mich um 9.30 hier abholen und mit mir zur Kirche und anschließend zum Friedhof fahren? Ich habe sonst niemanden. Liebe Grüße    Johann Wolter‘
    Rike las die Sätze noch

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