Das mittlere Zimmer
und zur Beobachtung dableiben‘, brachte das Telefon zurück ins Wohnzimmer, stand eine Weile neben dem Couchtisch und sah an Rike, die sich in einen Sessel gesetzt hatte, vorbei. Minuten vergingen, ohne dass einer von ihnen etwas sagte. Es war ein quälendes Schweigen, das Achim schließlich nicht mehr ertrug. Er verließ das Zimmer, und fünf Minuten später hörte Rike ihn in der Garage hämmern und sägen.
Während sie die unruhig schlafende Hannah beobachtete, fiel ihr ein, dass sie ihrer Mutter Bescheid sagen sollte. Vielleicht machte sie sich Sorgen. Sie wählte ihre Nummer.
„Anette Vogel!“, meldete sich eine resolute Stimme.
„Hallo Mama, ich -“
„Wo habt ihr denn gestern gesteckt? Ich hab ein paar Mal angerufen! Ihr wolltet doch heute Nachmittag vorbeikommen und euch die Regale für den Keller ansehen!“
„Das müssen wir verschieben. Weißt du, uns ist was Blödes dazwischengekommen. Ha nnah bekam am Donnerstagabend aus heiterem Himmel einen ganz schlimmen Ausschlag. Wir sind sofort ab ins Krankenhaus, aber da war ein völlig überforderter Assistenzarzt, der meinte, Hannah hätte sich einen tödlichen, afrikanischen Virus eingefangen! Hast du schon mal so `nen Unsinn gehört?! Jedenfalls hat man uns gleich alle drei auf der Isolierstation eingesperrt, und wir durften niemanden anrufen, wegen der Panik und so. War natürlich alles falscher Alarm. Hannah hat auf irgendwas allergisch reagiert, und der Ausschlag war am nächsten Tag weg. Und wegen der Regale komme ich im Lauf der Woche vorbei, ok?“
Ihre Mutter, die das alles erst einmal verdauen musste, schwieg einen Moment. „Wollt ihr nicht doch gleich auf einen Kaffee rüberkommen? Ich hole einen Kuchen aus dem Tiefkühler und -“
„Nein, wirklich nicht. Wir sind jetzt erst mal froh, dass wir wieder zu Hause sind“, behauptete Rike.
Ihre Mutter fragte nach Einzelheiten des Krankenhausaufenthalts, und Rike phantasierte mu nter drauf los.
Am Abend kochte sie eines von Achims Lieblingsgerichten, aber er schlang sein Essen hinu nter, ohne aufzublicken, ohne ein Wort zu sagen. Erst als sein Teller bereits halb leer war, sah er Rike an, immer öfter und immer länger. Er sah sie an wie jemand, der etwas sagen möchte, aber nicht den richtigen Anfang findet. Sie konnte ihm nicht helfen. Es war qualvoll.
Schließlich sagte er doch etwas. „Hast du schon den Dachdecker angerufen, damit er sich den Speicher ansieht?“
Wieder diese zwiespältigen Gefühle. Große Erleichterung, große Enttäuschung. Rike spürte Tränen in ihre Augen steigen. „Nein, d azu bin ich noch nicht gekommen“, sagte sie, stand auf, nahm eine Schüssel vom Tisch und füllte am Herd Nudeln aus dem Kochtopf nach. Und tupfte heimlich ein paar Tränen ab.
„Mehr Soße!“ , beschwerte sich Hannah hinter ihr. Rike gab sie ihr und setzte sich wieder.
Und irgendetwas in ihr flüsterte ihr zu, dass sie alles richtig mache, wenn sie die Sache nicht ansprach. Also meinte sie: „Wir müssen unbedingt zusehen, dass die Terrasse fertig wird.“
„Ja“ , antwortete Achim und grinste. Ein schwachsinniges Grinsen. „Der Sommer steht vor der Tür.“ Er schaufelte Nudeln auf seinen Teller. „Und das Garagentor muss auch dringend gemacht werden.“
„Auf jeden Fall.“ Rike sah ihm beim Essen zu. „Und am Wochenende wollte ich ein paar Hortensien für den Vorgarten besorgen.“ Sie spürte, wie sich ein hysterisches K ichern den Weg nach draußen bahnte, aber dann blieb es ihr doch im Hals stecken. Das war alles so ... so absurd.
Das änderte sich auch in den nächsten Tagen nicht. Sie redeten kaum miteinander, und wenn doch, kam nur banalstes Zeug dabei heraus. Manchmal hätte sie schreien mögen vor Wut, vor Hilflosigkeit, vor Verzweiflung.
Aber möglicherweise ging es Achim genauso, denn manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, hörte sie ihn vor sich hinbrabbeln: „Wie spät ist es?“ oder „Welches Datum haben wir heute?“ oder „Wir müssen hier weg!“ Und manchmal grinste er sie so blöde an, dass sie dachte, jetzt ist es passiert, jetzt ist er übergeschnappt! Dann wieder redeten sie wie normale, vernünftige Menschen miteinander, über vernünftige, alltägliche Dinge.
Auch Hannah wirkte veränderte. Sie wachte jetzt ab und zu nachts auf, war tagsüber weinerl icher als sonst und verlor beim Spielen schneller das Interesse. Ob das nun am Zeitphänomen lag oder an der gereizten Atmosphäre zwischen Achim und Rike, war nicht eindeutig zu
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