Das mittlere Zimmer
und verließ die Küche.
Rike blieb sitzen. Minutenlang kam sie sich unwirklich vor wie in einem Alptraum. Und statt eigene Pläne zu schmieden, begann sie darüber nachzugrübeln, was Johann wohl vorhatte. Warum wollte er mit ihr einkaufen fahren? Würde diese Fahrt nicht im Supermarkt enden, sondern im Wald, wo er sie problemlos erwürgen und verscharren konnte? Sollte sie überhaupt in sein Auto einsteigen?
In ihrer Vorstellung ging sie immer verwegenere und abstrusere Szenarien durch, was Johann ihr alles antun konnte, im Wald, im Supermarkt, im Haus.
Irgendwann begann sie, das Wohnzimmer aufzuräumen und das Geschirr abzuwaschen, in Gedanken bei allerhand Vorsichtsmaßnahmen gegenüber diversen Mordanschlägen auf ihre Person. Und doch ertappte sie sich plötzlich dabei, dass sie eine Einkaufsliste zusammenstellte. Was war los mit ihr?! War das ein verzweifelter Versuch, in eine Normalität zurückzufliehen, die es nicht mehr gab? Weil sie möglicherweise gar nicht in der Lage war, Johann umzubringen?!
Bevor Rike sich nun auch noch mit diesem schrecklichen Thema auseinandersetzen musste, hörte sie Johann von unten rufen: „Rike? Ich bin fertig! Sollen wir fahren?“
Verflixt, jetzt musste sie sich entscheiden! Sollte sie mitfahren? Und plötzlich schlug ihr Verstand einen Salto: was, wenn es viel gefährlicher war, hier zu bleiben als mitzufahren? Was, wenn er fest damit rechnete, dass sie zu Hause blieb, und vorhatte, ihr ... nun, vielleicht einen Auftragsmörder (Geld besaß er ja genug) auf den Hals zu schicken! Dann hatte er sogar ein wunderbares Alibi!
Nein, sie würde mitfahren! Und falls er in den Wald fuhr statt zum Supermarkt, würde sie einfach rechtzeitig aus dem Auto springen! Dann fiel ihr auf, dass sie im Morgenmantel he rumlief. „Johann? Ich bin in fünf Minuten unten!“, rief sie in den Flur hinein. „Ich muss mich noch anziehen!“
Sie lief in ihr Zimmer, zog sich an und nahm ihre kleine Handtasche vom Haken an der Ga rderobe, in der sie einen dicken Schlüsselbund mit sich trug und in die sie jetzt noch ihr Portemonnaie und ihr Handy stopfte.
Zehn Minuten später saß sie neben Johann im Auto und war unterwegs zum Supe rmarkt. Er bog nicht in den Wald ab. Er redete fast nicht. Er sah sie auch nicht an. Er fuhr schweigend und stur durch die Windschutzscheibe blickend über die Landstraße, die von der Sonne beschienen wurde, die sich durch eine Nebelwand geschmolzen hatte und die Welt wärmte.
Im Supermarkt war es voller als erwartet. Sie schoben abwechselnd den Einkaufswagen durch die Gänge, und als Rike ein Paket Zucker aus dem Regal nahm, kam sie sich auf einmal wieder vor wie in einem surrealistischen Film. Wieso spazierte sie mit dem Mann, den sie umbringen wollte, friedlich durch einen Supermarkt?!
Sie fühlte sich immer unwirklicher, wie hinter Glas. Selbst der Verdacht, Johann habe es doch irgendwie geschafft, sie unter Drogen zu setzen, erreichte sie kaum. Als sie an der Fleischth eke stand, hörte sie sich sagen: „Was soll ich uns heute und morgen kochen?“
Johann dachte nach, sah auf seine Uhr und meinte: „Es ist schon so spät - lass uns doch gleich essen gehen. Und für morgen nimmst du ein Stück Rinderbraten mit.“
Rike war einverstanden, und kurz nach zwölf saßen sie sich in ihrem Lieblingsrestaurant gegenüber, und Rike hatte eben ihr Essen bestellt, als Johanns Handy klingelte. Er meldete sich und führte ein extrem einsilbiges Gespräch, das auf seiner Seite im Wesentlichen aus den Wörtern „Ja“ und „Nein“ bestand. Er sah währenddessen konsequent aus dem Fenster auf die Straße.
Klang das nicht ganz wie ein Gespräch mit einem Berufskiller, der angewiesen war, nur Fr agen zu stellen, die man mit ja oder nein beantworten konnte? Der Gedanke machte Rike nicht Angst, er machte sie wütend. Also schaute auch sie in eine andere Richtung, zum Nachbartisch hin, damit Johann den Hass in ihrem Gesicht nicht bemerkte.
Als das Essen vor ihr stand, bekam sie kaum einen Bissen herunter. Zumal ihr das Bild im Kopf umherging, Johann habe sie zu ihrer Henkersmahlzeit eingeladen. Aber auch er schien keinen übermäßigen Appetit zu haben. Der Kellner wagte nicht einmal nachzufragen, ob es nicht geschmeckt habe, als er die halbvollen Teller und Schü sseln abräumte.
Johann bezahlte, und nicht viel später waren sie auf dem Weg nach Hause. Rike passte genau auf, w o Johann herfuhr. Sie hatte ein ungutes Gefühl im Bauch - sie musste sich unbedingt einen
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