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Das Mönchskraut

Das Mönchskraut

Titel: Das Mönchskraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Boten. Der Laienbruder rannte atemlos zum Pförtnerhaus, wo das aufgeregte Mädchen wartete. Ein Kitzeln im Mund und in der Kehle, überlegte Cadfael, während er durch den Garten lief. Ein Bedürfnis zu erbrechen, das nicht gestillt werden kann, dann eine Versteifung von Lippen und Hals ... Seit dem Mittagessen war über eine Viertelstunde verstrichen. Es könnte bereits zu spät sein, um Master Bonel den Senf zu verabreichen, der ihn zum Erbrechen zwingen würde, aber man mußte es versuchen.
    Sicher war dieser Anfall nur auf die harmlose Diskrepanz zwischen einem schlecht disponierten Menschen und einem tadellosen Essen zurückzuführen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Aber das Kitzeln in Mund und Hals - die Versteifung ...
    Das alles erinnerte Cadfael an eine gefährliche Erkrankung, deren Zeuge er einmal geworden war und die beinahe den Tod bewirkt hätte. Er kannte die Ursache dieses Leidens. Hastig holte er die Medikamente, die er brauchte, aus dem Schuppen, dann rannte er zur Pforte.
    Trotz des kalten Dezembertags stand die Tür des ersten Hauses hinter dem Mühlenteich weit offen. Trotz der unheimlichen Stille, die es umgab, drang ihm eine fast greifbare spannungsgeladene Atmosphäre voller Grauen und Verwirrung entgegen. Als er näherkam, hörte er eilige Schritte und gedämpfte Stimmen. Es war ein schönes Haus, mit drei Zimmern, einer Küche und einem kleinen Garten am Ufer des Teichs. Cadfael kannte das Haus gut genug, da er einen früheren Bewohner aus weniger dramatischen Gründen besucht hatte. Nun betrat er es durch die Küchentür an der Seite, die dem Fluß und der Stadt Shrewsbury am anderen Ufer zugewandt war. Um diese Jahreszeit war es dunkel in dem kleinen Raum, obwohl das Fenster nach Süden hinausging und die Läden geöffnet waren, um Licht und genügend Luft für die Kohlenpfanne hereinzulassen, die den Küchenbedürfnissen der Klosterpensionäre vollauf genügte. In einem glänzend polierten Topf sah er eine graue Spiegelung des Flußwassers funkeln, das vom Wind gekräuselt wurde. Hier war der Garten viel schmaler als an der Vorderseite, wenn das Haus auch hoch über dem Wasserspiegel lag.
    In der offenen Innentür, durch die das Gemurmel ängstlicher Stimmen drang, stand eine Frau. Offensichtlich erwartete sie ihn. Sie hatte die Hände krampfhaft ineinandergeschlungen und zitterte am ganzen Körper vor Erregung. Als er hereinkam, eilte sie ihm eifrig entgegen, und jetzt konnte er sie genauer betrachten - eine Frau in seinem Alter, so groß wie er, gut gekleidet, mit dunklem, von Silbersträhnen durchzogenem Haar, das sie zu einer Zopfkrone geflochten hatte. Ihr ovales Gesicht war faltenlos bis auf die zarten, liebenswerten Linien, die Humor und Lebensfreude in die äußeren Winkel ihrer dunklen Augen gezeichnet hatten. Dem hübschen, vollen Mund sah man an, daß er gern lachte. Doch jetzt war alle Heiterkeit verflogen. Verzweifelt rang sie die Hände und blickte ihn flehend an.
    Sie war immer noch schön, und ihre Anziehungskraft hatte die zweiundvierzig Jahre überdauert, die seit damals vergangen waren.
    Er erkannte sie sofort wieder. Zum letztenmal hatte er sie gesehen, als sie beide siebzehn und miteinander verlobt gewesen waren. Niemand hatte es gewußt. Wahrscheinlich hätte ihre Familie ihn zur Hochzeit gezwungen, wäre sie informiert worden. Aber er war im Zeichen des Kreuzes ins Heilige Land gesegelt. Und trotz seines Versprechens, zurückzukommen und sie zur Frau zu nehmen, hatte er sie über seinem abenteuerlichen Seefahrer-und Soldatenleben vergessen. Und obwohl sie gelobt hatte, nur ihm zu gehören, war sie schließlich des Wartens müde geworden, hatte sich den Wünschen ihrer Eltern gefügt und einen charakterfesteren Mann geheiratet, was ihr niemand verargen konnte. Cadfael hatte gehofft, daß sie glücklich geworden war - und niemals erwartet, sie hier wiederzusehen. Seinerzeit hatte sie nicht Bonel geheiratet, keinen Besitzer eines Herrenhauses im Norden, sondern einen ehrbaren Handwerker aus Shrewsbury.
    Doch wie hätte er sie jetzt nach all dem fragen können?
    Zweiundvierzig Jahre waren seit der letzten Begegnung verstrichen - und er hatte sie auf Anhieb wiedererkannt.
    Offenbar hatte er ein besseres Gedächtnis, als er geglaubt hatte. Die eifrige Art, wie sie sich zu ihm beugte, die Neigung des Kopfes, die Haartracht, das alles war ihm so vertraut - und vor allem die großen, klaren Augen, die trotz der dunkelbraunen Farbe so hell

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