Das Mönchskraut
ringsum schuldbewußt an ihr Seelenheil zu erinnern. Sie wollten sich als gute Christen erweisen, aber möglichst geringe Opfer bringen.
Und so wurde der Speiseplan der Abtei, der meist nur aus Hülsenfrüchten, Fisch sowie hin und wieder aus magerem Fleisch bestand, plötzlich durch Geschenke bereichert. Es gab Rind-und Schweinefleisch, Geflügel, Honigkuchen, Trockenfrüchte und sogar Wildbret - willkommene Spenden, die schlichte Gerichte in festliche Mahlzeiten verwandelten.
Manche Leute überbrachten auch einfallsreichere Geschenke und vergewisserten sich, daß ihre Almosen den Abt oder Prior erreichten, in der Annahme, daß dessen Fürsprache vor Gottes Altar ihnen eher nützen könnte als die Gebete der gewöhnlichen Mönche. Ein Ritter aus dem südlichen Shropshire wußte nicht, daß man Abt Heribert nach London beordert hatte, um ihn zu disziplinieren, und schickte ihm ein schönes, nach dem ertragreichen Sommer besonders saftiges, wohlgenährtes Rebhuhn. Es wurde in die Wohnung des Abtes gebracht, von Prior Robert erfreut entgegengenommen und an Bruder Petrus weitergeleitet, der ein üppiges Mittagsmahl daraus bereiten sollte.
Bruder Petrus, der dem Prior um Abt Heriberts willen immer noch grollte, starrte düster auf das Huhn, das vor ihm auf dem Küchentisch lag. Er überlegte allen Ernstes, ob er es auf diese oder jene Weise verderben sollte - indem er es zum Beispiel verbrannte oder so lange briet, daß es knochentrocken wurde, oder indem er eine versalzene Sauce dazu servierte ... Doch dann siegte das Gewissen des Kochkünstlers und sein Ehrgefühl. Nein, dazu konnte er sich denn doch nicht durchringen. Das Schlimmste, was er dem Prior antun konnte, war eine Zubereitungsart, die er selbst sehr schätzte, mit Rotwein und scharfen Gewürzen und einer aromatischen Sahnesauce und viel Fett. Auf diese Weise blieb ihm wenigstens die Hoffnung, daß Prior Roberts Magen das schwere Essen nicht vertragen würde.
Der Prior war hochzufrieden mit sich selbst, seiner derzeitigen Würde, der wohlbegründeten Aussicht auf die baldige Ernennung zum Abt und mit dem Landgut Mallilie, das sich, den Berichten des Verwalters zufolge, als erstaunlich kostbares Geschenk entpuppt hatte. Gervase Bonels Zorn hatte seinen Verstand ganz gewiß übertölpelt. Sonst würde er einen solchen Besitz niemals gegen die simplen Lebensnotwendigkeiten eintauschen, die ihm geboten wurden - noch dazu, wo er schon sechzig war und nicht erwarten durfte, daß er sich dieser einfachen Genüsse übermäßig lange erfreuen konnte. Prior Robert beschloß, ihm ein paar zusätzliche Vergünstigungen zu geringen Kosten zu gewähren.
Bruder Jerome, über alle Neuigkeiten innerhalb und außerhalb der Klostermauern stets genauestens informiert, hatte berichtet, daß es Master Bonel nicht gutginge und daß er bei schlechtem Appetit wäre. Vielleicht würde es ihn ein wenig aufheitern, wenn er an den Tafelfreuden des Abtes teilhaben konnte. Und das fette Rebhuhn reichte ganz gewiß für zwei Personen.
Liebevoll begoß Bruder Petrus den Vogel mit Rotwein, schmeckte die Sauce gerade mit Rosmarin und einem Hauch Gartenraute ab, als Prior Robert mit gestrenger Miene in die Küche rauschte und in den Topf spähte. Seine alabasterweißen Nasenflügel erzitterten, als ihm ein verführerischer Duft entgegenstieg. Mit kühlem Blick beobachtete er die Zubereitung des Gerichts, das ganz sicher ebenso himmlisch schmecken mußte wie es aussah. Bruder Petrus beugte sich tief über den Herd, um sein verkniffenes Gesicht zu verbergen. Er rührte eifrig in der Sauce und wünschte sich inbrünstig, daß das Ergebnis seiner Arbeit auf einen unkundigen Gaumen treffen und Ekel statt Entzücken hervorrufen würde. Doch diese Hoffnung war zu vermessen. Das Aroma des Huhns erfreute Prior Robert so sehr, daß er beinahe beschlossen hätte, seinen großzügigen Plan fallenzulassen und die lukullischen Wonnen allein zu genießen. Aber nur beinahe, denn Mallilie war in der Tat ein erstrebenswerter Besitz.
»Ich habe gehört«, sagte der Prior, »daß unser Gast im Haus am Mühlenteich nicht in bester Verfassung ist und an mangelndem Appetit leidet. Schick ihm eine Portion von diesem Rebhuhn, Bruder Petrus, mit meinen besten Empfehlungen. Es soll ihn als kleiner zusätzlicher Leckerbissen erfreuen, nach dem normalen Mittagessen. Richte es ihm in einer meiner eigenen Schüsseln an. Es müßte ihm verlockend erscheinen, selbst wenn er zur Zeit keinen Geschmack an anderen Speisen
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