Das Mönchskraut
die er vertrauensvoll an Cadfael schmiegte. »Niemand wußte davon. Meurig habe ich nichts erzählt, und ich kam gar nicht dazu, es meiner Mutter zu zeigen. Ich lerne doch Schnitzen und arbeite auch ein bißchen mit Metall - und ich wollte beweisen, wie tüchtig ich bin.
Deshalb machte ich ein Geschenk für meinen Stiefvater - nicht, weil ich ihn mochte«, fügte er freimütig hinzu. »Aber meine Mutter war so unglücklich über unseren Streit, und er ließ seine Wut auf mich an ihr aus. Früher war er viel netter zu ihr, denn er liebte sie - das weiß ich. Ich fertigte also dieses Geschenk an - sozusagen als Friedensangebot - und um ihm klarzumachen, daß ich meinen Lebensunterhalt auch ohne seine Hilfe verdienen kann. Er besaß eine Reliquie, die er sehr schätzte und die er vor langer Zeit in Waldingham gekauft hatte, auf einer Pilgerfahrt. Angeblich ist es ein Stück vom Mantel unserer lieben Frau, ein Teil des Saums - aber daran glaube ich nicht.
Nun, er glaubte jedenfalls fest daran. Es ist ein winziger blauer Stoffstreifen, so lang wie mein kleiner Finger, mit einem eingewebten Goldfaden am Rand, und es ist in ein kleines goldenes Tuch gewickelt. Ich weiß, daß mein Stiefvater eine Menge Geld dafür bezahlt hat. Wie gesagt, an dieser Reliquie lag ihm sehr viel, und so stellte ich einen kleinen Schrein in der passenden Größe dafür her, eine Kassette mit Deckel aus Birnbaumholz. Der Deckel war mit einem Intarsienbild von unserer Jungfrau Maria geschmückt, aus Perlmutt und Silber, mit einem Mantel aus Lapislazuli. Ich fand es recht hübsch ...«
Edwins schmerzlicher Seufzer rührte Bruder Cadfaels erleichtertes Herz. Der Junge hatte seine Arbeit liebgewonnen und dann im Zorn von sich geschleudert, und nun war es sein gutes Recht, darum zu trauern.
»Und gestern wolltest du ihm das Kästchen überreichen?« fragte der Mönch sanft.
»Ja!« stieß Edwin hervor. Cadfael erinnerte sich, wie der Junge empfangen worden war, als er das Haus seines Stiefvaters tapfer betreten hatte, das Geschenk in der Tasche.
»Und als er dich mit seiner Bosheit aus dem Haus trieb, hieltest du es in der Hand ... Ich kann deine Gefühle verstehen.«
»Er sagte, ich wäre wie ein Bettler zu ihm gekrochen, um mein Erbe zurückzugewinnen!« rief Edwin erbost. »Und er würde mir vielleicht verzeihen, wenn ich vor ihm niederkniete ...
Wie hätte ich ihm da mein Geschenk geben können? Er hätte es doch nur als Zeichen meiner Erniedrigung betrachtet ... Das hätte ich nicht ertragen. Ich wollte ihm das Kästchen schenken - ohne eine Gegenleistung zu erlangen.«
»Ich hätte genauso gehandelt wie du, mein Junge. Ich wäre wütend aus dem Haus gelaufen, das Geschenk in der Faust.«
»Aber du hättest es wohl kaum in den Fluß geworfen«, meinte Edwin reumütig. »Ich weiß nicht, warum ich es tat - vielleicht, weil es für ihn bestimmt war und weil ich es in der Hand hatte ... Und Aelfric rannte hinter mir her und schrie nach mir ... Ich konnte nicht zurückgehen ... Das Kästchen gehörte meinem Stiefvater nicht, und ich hatte irgendwie das Gefühl, daß es mir auch nicht mehr gehörte. Deshalb wollte ich es loswerden.«
Richildis und die anderen hatten nichts von Edwins Friedensangebot gewußt. Frieden oder Krieg ... Das Geschenk hätte als versöhnliche Geste betrachtet werden und gleichzeitig die Unabhängigkeit des Jungen demonstrieren sollen. Beides hätte dem alten Autokraten mißfallen. Aber Edwin hatte es gut gemeint, und wenn man bedachte, daß er noch nicht einmal seinen fünfzehnten Geburtstag gefeiert hatte, war es eine bemerkenswerte Leistung, ein so kunstvolles Kästchen anzufertigen. Aber niemand hatte davon gewußt, niemand außer dem jungen Künstler hatte eine Gelegenheit gefunden, das Werk zu bewundern - was Richildis sicher getan hätte.
Niemand hatte das kleine Bild aus Perlmutt, Silber und Lapislazuli gesehen, das funkelnd durch die Luft geflogen war.
»War der Deckel des Kästchens geschlossen, als es in den Fluß fiel?« fragte Cadfael.
»Ja.« Die Augen des Mönches hatten sich mittlerweile an das Dunkel auf dem Heuboden gewöhnt, und er sah Edwins verwirrtes Gesicht. »Ist das auch wichtig? Ich wünschte, ich hätte das Kästchen nicht weggeworfen - denn nun ist mir klar, daß ich damit alles nur noch schlimmer gemacht habe. Aber wie sollte ich das wissen? Damals ahnte ich noch nicht, daß man meinen Stiefvater ermordet hatte, daß man nach mir suchen würde und daß ich meine Unschuld beweisen
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