Das Mönchskraut
aus, daß er weder Sattel noch Zaumzeug hatte? Oft genug hatte er auf Rufus' nacktem Rücken gesessen, in den Tagen, bevor er mit dessen Eigentümer in Streit geraten war. Er grub die Fersen in die Flanken des Hengstes, drückte ihm die Knie in die Rippen und setzte seinen bereitwilligen Komplizen in Bewegung.
Die Pferdeknechte waren zwar bereit gewesen, den falschen Mönch dingfest zu machen, doch sie hatten keine Lust, sich in den Weg des kräftigen Pferdes zu stellen. Wie ein Armbrustbolzen schoß es aus der Box. Sie sprangen so hastig beiseite, daß der ältere Mann über ein Heubündel stolperte und zum zweitenmal der Länge nach hinfiel. Edwin neigte sich tief über Rufus' muskulöse Schultern, flüsterte zusammenhanglose Worte der Dankbarkeit und Ermutigung in die zurückgelegten Pferdeohren. Der Braune sprengte auf den dreieckigen Marktplatz hinaus, und der Junge lenkte ihn instinktiv von der Stadt weg und galoppierte auf dem Foregate davon.
Die beiden Männer, die auf der Außentreppe nach oben gestiegen waren, hatten inzwischen die erstaunliche Entdeckung gemacht, daß die Tür unverschlossen war und sich trotzdem nicht aufstoßen ließ. Nun hörten sie das Trommeln der Hufe, wandten die Köpfe und starrten dem Reiter nach.
»Gott steh uns bei!« keuchte Watt und riß die Augen auf.
»Das ist einer von den Brüdern! Warum hat er es denn so eilig?«
In diesem Augenblick zerrte der Wind die Kapuze von Edwins Kopf, sie sahen das dichte, zerzauste Haar, das jungenhafte Gesicht. Mit einem gellenden Schrei rannte Will die Stufen hinab. »Das ist kein Mönch! Er hat keine Tonsur! Das ist der Bursche, der vom Landrat gesucht wird! Wer sonst hätte sich in unserem Stall verstecken sollen?«
Aber Edwin hatte bereits einen großen Vorsprung, und im Stall stand kein Pferd, das sich mit Rufus hätte messen und ihn einholen können. Der junge Knecht hatte es klar erkannt - der vernachlässigte Hengst hatte sich nach Bewegung gesehnt, und jetzt, wo er dem Stall endlich entronnen war, sprengte er munter dahin. Nur ein einziges Hindernis versperrte den Weg in die Freiheit. Zu spät erinnerte sich Edwin an Cadfaels Rat, keinesfalls auf der Londoner Straße zu fliehen, denn bei St.
Giles, hinter den letzten Vororten von Shrewsbury, würden die Spähtrupps, die nach dem Jungen suchten, alle Reisenden kontrollieren. An diese Warnung dachte er erst wieder, als er vier Reiter sah, die ihm langsam entgegenkamen. Sie waren soeben von einer anderen Truppe abgelöst worden und kehrten nun zum Schloß zurück.
Er konnte nicht zwischen ihnen hindurchsprengen, und die schwarze Kutte des Reiters, der in so halsbrecherischer Geschwindigkeit herangaloppierte, konnte sie keine Sekunde lang täuschen. Edwin hatte nur eine einzige Möglichkeit. Mit flehender Stimme und drängenden Knien versetzte er das widerstrebende Pferd in eine langsamere Gangart, dann schwang er es herum und sprengte den Weg zurück, den er gekommen war. Ein vierstimmiger Jubelschrei klang hinter ihm auf und ließ keinen Zweifel an der Tatsache, daß er nun von einem bewaffneten Trupp verfolgt wurde. Entschlossen hefteten sich die Männer an seine Fersen, überzeugt, daß sie einen Missetäter vor sich hatten, wenn sie seine Identität auch noch nicht kannten.
Nach dem Hochamt eilte Bruder Mark zum Pferdemarkt, mit dem Auftrag, den Heuboden unbemerkt zu betreten, damit man später nicht behaupten konnte, man hätte nur einen hineingehen, aber zwei herauskommen sehen. Er erreichte den Stall gerade rechtzeitig, um das erregte Geschrei der Pferdeknechte zu hören und zu beobachten, wie Edwin mit wehender Kutte, den Kopf tief über den Pferdehals gebeugt, auf dem Foregate davongaloppierte. Mark hatte Edwin Gurney nie zuvor gesehen. Trotzdem brauchte er nicht lange zu überlegen, wer dieser verzweifelte Flüchtling sein mochte, und er wußte auch, daß er selbst zu spät gekommen war. Man hatte den Gesuchten aus seinem Versteck gelockt, aber noch nicht festgenommen, und Bruder Mark konnte nichts tun, um ihm zu helfen.
Will, der beherzte Oberstallknecht, hatte in aller Eile das beste Tier aus einer der Boxen geholt und sich eben erst in den Sattel geschwungen, als er den Braunen wieder heransprengen sah. Er gab seinem Pferd die Sporen, um dem blitzschnellen Hengst den Weg abzuschneiden, obwohl das ein gewagtes Unterfangen war. Doch das Roß war nicht so mutig wie sein Reiter und scheute vor Rufus' gestrecktem Hals, den zurückgelegten Ohren und wild rollenden Augen
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