Das Mönchskraut
zurück. Ein Knecht schleuderte eine Heugabel nach den donnernden Hufen, allerdings nur halbherzig, und Rufus machte nur einen kleinen, verwirrten Seitensprung, ohne sein Tempo zu drosseln, und sprengte weiter zur Stadt.
Will wäre ihm nachgeritten, wenn auch ohne jede Hoffnung, daß er den hellgelben, aufgebauschten Schwanz im Auge behalten würde. Aber da näherten sich bereits die Verfolger auf dem Foregate, und er war gern bereit, ihnen diese Aufgabe zu überlassen. Immerhin war es ihre und nicht seine Pflicht, Übeltäter einzufangen. Und was immer dieser Pseudo-Mönch sonst angestellt haben mochte - er hatte ganz gewiß ein Pferd gestohlen, das der Witwe Bonel gehörte und der Abtei überantwortet worden war.
Natürlich mußte man den Diebstahl sofort melden. Will ritt den herangaloppierenden Wachtposten entgegen und hob eine Hand, worauf sie ihre Pferde zügelten. Seine drei Gefährten eilten herbei, um auch aus ihrer Sicht zu schildern, was geschehen war.
Mittlerweile hatte sich eine große Zuhörermenge versammelt. Mehrere Reiter hatten ihre Reise unterbrochen, um herauszufinden, was dieser vielversprechende Tumult bedeutete, zahlreiche Leute waren aus den umliegenden Häusern gelaufen. Während der Spähtrupp und die Stallknechte Informationen austauschten, drängten sich interessierte Kinder heran, was die Fortsetzung der Verfolgungsjagd verzögerte. Mütter holten ihre Sprößlinge und versperrten den Weg für eine weitere volle Minute. Aber es schien keine vernünftige Erklärung für die Tatsache zu geben, daß das Pferd des Hauptmanns, als der Trupp endlich aufbrechen wollte, ärgerlich wieherte und sich aufbäumte und seinen Herrn beinahe abwarf. Dieser hatte nicht mit einem solchen Zwischenfall gerechnet und mußte weitere Minuten opfern, um das erregte Tier wieder in seine Gewalt zu bringen, bevor er an der Spitze seiner Männer dem Flüchtling nachgaloppieren konnte.
Bruder Mark stand mit hochgerecktem Hals inmitten der neugierigen Schar und schaute der Patrouille nach, die zur Stadt ritt. Er war sicher, daß der Braune genügend Zeit gefunden hatte, um aus dem Blickfeld seiner Verfolger zu verschwinden. Alles weitere lag bei Edwin Gurney. Mark faltete seine Hände in den weiten Kuttenärmeln, zog sich die Kapuze in die Stirn, um sein ausdrucksloses Gesicht zu überschatten, und kehrte mit fragwürdigen Neuigkeiten zum Pförtnerhaus der Abtei zurück. Unterwegs warf er den zweiten Kieselstein weg, den er neben dem Stall vom Boden aufgehoben hatte. Auf dem Landgut seines Onkels war er schon als vierjähriger zur Arbeit angehalten worden und hatte sich seinen kargen Lebensunterhalt verdient, indem er mit einem Sack voller Steine hinter dem Pflug hergelaufen war. Diese Steine hatte er nach den Vögeln geschleudert, um sie von der Saat wegzuscheuchen. Zwei Jahre später hatte er gemerkt, daß er mit den hungrigen Vögeln sympathisierte und ihnen eigentlich gar nichts tun wollte. Doch er hatte sich inzwischen zu einem zielgenauen Schützen entwickelt, und diese Fähigkeit hatte er auch später nicht verlernt.
»Bist du ihnen bis zur Brücke gefolgt?« fragte Cadfael besorgt. »Der Brückenwärter hat ihn nicht gesehen? Und die Beamten des Landrats haben ihn nicht aufgespürt?«
»Er war wie vom Erdboden verschwunden«, berichtete Bruder Mark genüßlich. »Und er ist gar nicht in die Stadt geritten - zumindest nicht auf diesem Weg. Falls du Wert auf meine Meinung legst - er konnte nicht in eine der Gassen vor der Brücke biegen, denn das hätte man gesehen. Ich glaube, er ist hinunter zum Gaye geflüchtet, um zwischen den Obstbäumen Schutz zu suchen. Ich habe keine Ahnung, was er jetzt tun wird - aber sie haben ihn wenigstens nicht geschnappt, das steht fest. Natürlich werden sie wieder mal Martin Bellecotes Werkstatt und das Haus auf den Kopf stellen, aber dort werden sie Edwin nicht finden.« Verständnislos blickte er in Cadfaels furchtsames Gesicht. »Du wirst doch ohnehin beweisen, daß er nichts verbrochen hat. Warum regst du dich auf?«
Es war beängstigend genug zu wissen, daß das Wohl und Wehe eines jungen Menschen vom Sieg der Wahrheit abhing und somit von Bruder Cadfael. Doch die Ereignisse dieses Morgens lasteten zumindest nicht auf der Seele Bruder Marks, und dafür mußte man dankbar sein.
»Gehen wir essen«, sagte Cadfael, »und freue dich deines Lebens. Ein Mensch, der so fest an die Zukunft glaubt wie du, hat allen Grund, fröhlich zu sein. Noch dazu, wenn er eine
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