Das Mönchskraut
und ich werde ihn bitten, Ausschau zu halten. So, nachdem nun alles gesagt wurde, wollen wir den kleinen Racker aus dem Gefängnis holen. Ein Glück für ihn, daß du ihn kennst - denn ihm hätten sie sicher nicht geglaubt, daß er der falsche Junge ist. Sehen sich die beiden wirklich so ähnlich?«
»Wenn sie nebeneinander sitzen, kann man nur eine gewisse Familienähnlichkeit feststellen. Aber wenn man sie einzeln betrachtet, könnte man sie schon miteinander verwechseln, vor allem, wenn man sie nicht so gut kennt. Und deine Männer waren hinter dem Reiter jenes Pferdes her - und demzufolge glaubten sie der richtigen Spur zu folgen. Komm und schau ihn dir an!«
Als sie zu der Zelle gingen, wo Edwy in wachsender Besorgnis wartete, wußte Cadfael noch immer nicht, was Beringar mit dem Gefangenen vorhatte - wenn er auch nicht befürchtete, daß dem Jungen ein Leid geschehen könnte. Was immer Hugh von Edwins Schuld oder Unschuld halten mochte - er war nicht der Mann, der Edwys unerschütterliche Solidarität mit seinem Onkel allzu streng bestrafen würde.
»Komm heraus ins Tageslicht und laß dich ansehen, Edwy!«
Beringar hielt die Zellentür auf. »Ich will ganz genau wissen, wen ich vor mir habe - um gewappnet zu sein, wenn ihr zwei das nächstemal die Rollen tauscht.« Gehorsam stand Edwy auf und trat in den Hof hinaus, nachdem er sich mit einem nervösen Seitenblick vergewissert hatte, daß auch Cadfael zur Stelle war. Der Stellvertreter des Landrats legte ihm einen Finger unter das Kinn, hob sein Gesicht zu sich empor und musterte es aufmerksam. Die blauen Flecken hatten sich inzwischen violett gefärbt, aber die haselnußbraunen Augen strahlten. »So, jetzt werde ich dich überall wiedererkennen«, meinte Hugh zuversichtlich. »Also, junger Mann - du hast uns eine Menge Ärger gemacht, und wir haben deinetwegen viel Zeit vergeudet. Um nicht noch mehr von unserer kostbaren Zeit zu verschwenden, will ich's nicht aus dir herausprügeln.
Deshalb frage ich dich nur ein einziges Mal - wo ist Edwin Gurney?«
Die Formulierung der Frage und der Ausdruck in Hughs Augen ließen nicht erkennen, was er zu tun gedachte, wenn er keine Antwort auf seine Frage bekam. Trotz seiner sanften Stimme durfte nicht bezweifelt werden, daß es unzählige Möglichkeiten gab. Edwy fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und sagte im versöhnlichsten, respektvollsten Ton, den Cadfael je aus diesem Mund gehört hatte: »Herr, Edwin ist mein Verwandter und mein Freund, und wenn ich bereit wäre, dir sein Versteck zu verraten, hätte ich nicht soviel Mühe auf mich genommen, um ihm zur Flucht zu verhelfen.
Sicher wirst du einsehen, daß ich schweigen muß.«
Beringar schaute Bruder Cadfael an und behielt seine ernste Miene bei, obwohl seine Augen funkelten. »Nun, Edwy, offen gestanden habe ich nichts anderes erwartet. Freundestreue ist kein Verbrechen. Aber ich möchte dich stets zu meiner Verfügung und auch die Gewißheit haben, daß du keine weiteren verrückten Rettungsaktionen planst.«
Edwy sah sich bereits im Kerker des Chrewsbury-Schlosses und machte sich mit stoischem Gesicht auf das Schlimmste gefaßt.
»Schwöre mir bei deiner Ehre, daß du keinen Fuß aus dem Hause deines Vaters setzen wirst, bevor ich es dir erlaube«, fuhr Beringar fort, »dann darfst du heimgehen. Warum sollte dich die öffentliche Hand während der Feiertage durchfüttern - wenn ich der festen Überzeugung bin, daß du dein Wort niemals brechen würdest? Nun, was sagst du dazu?«
»O ja, ich schwöre es!« keuchte Edwy, verwirrt und maßlos erleichtert. »Ich werde zu Hause bleiben, so lange du es wünschst. Und vielen Dank!«
»Gut. Ich verlasse mich auf dein Wort, und du kannst dich auf meines verlassen. Es ist nicht meine Aufgabe, deinen Onkel oder sonst jemanden wegen des Mordes an Bonel zu verhaften - koste es, was es wolle, sondern den wahren Mörder zu finden, und dazu bin ich fest entschlossen. Komm jetzt, ich bringe dich nach Hause. Ich möchte mit deinen Eltern reden, das kann nichts schaden.«
Kurz vor dem Hochamt um zehn Uhr hatten sie das Kloster verlassen. Edwy saß hinter Beringar auf einem Sattelkissen.
Der kräftige Schecke trug das Gewicht der beiden Reiter mühelos, und die Eskorte folgte ihm in Zweierreihen. Erst während des Gottesdienstes erkannte Cadfael - statt sein Sinnen auf höhere Dinge zu richten - zu seinem nicht geringen Ärger, daß er es versäumt hatte, Hugh zwei weitere Bitten vorzutragen. Martin
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