Das Mörderschiff
gebauten Haus war Lord Kirksides Badezimmer. Hier hätten sich die Wachleute auf keinen Fall wohlgefühlt. Die beinah antiseptische Sauberkeit war ein klarer Hinweis auf den Aristokraten. An der Wand befand sich ein Medizinschrank. Ich holte mir einen Streifen Heftpflaster heraus und verklebte damit die Taschenlampe, bis sie nur noch einen ganz schmalen Schein ausstrahlte. Den Rest des Pflasters steckte ich in meine Tasche.
Die nächste Tür war verschlossen, aber Schlösser, die aus der Zeit stammten, in der Schloß Dubh Sgeir erbaut worden war, waren für mich wirklich kein Problem. Ich entnahm meiner Tasche den besten Dietrich der Welt – ein längliches Stück steifes Zelluloid. Ich steckte es zwischen Tür und Pfosten, in der Höhe des Türschloßbolzens, zog den Türgriff in Richtung auf die Scharniere und bewegte den Dietrich. Dann ließ ich den Griff los, wiederholte noch einmal die ganze Prozedur und stand dann mucksmäuschenstill. Das Geräusch hätte eventuell meinen schlafenden Freund, den Wächter, aufwecken können, auf jeden Fall müßte es die Person, die sich im Zimmer befand, geweckt haben. Aber ich konnte kein Geräusch, das von irgendeiner Bewegung herrührte, feststellen.
Ich öffnete die Tür einen winzigen Spalt und hielt noch einmal den Atem an. Im Zimmer brannte Licht. Ich vertauschte die Taschenlampe mit der Pistole, ließ mich auf die Knie nieder, duckte mich und öffnete dann die Tür plötzlich weit. Ich stand wieder auf, machte die Tür zu und verschloß sie. Dann ging ich zum Bett hinüber.
Susan Kirkside schnarchte zwar nicht, aber sie schlief genauso tief wie der Mann, den ich gerade verlassen hatte. Ihr Haar war von einem blauen Seidenband zusammengehalten, und ihr Gesicht war ganz klar zu sehen, ein Anblick, der einem während des Tages im allgemeinen verwehrt blieb. Wie ihr Vater gesagt hatte, war sie einundzwanzig Jahre alt, aber wie sie so dalag, tief schlafend, machte sie den Eindruck einer Siebzehnjährigen. Eine Illustrierte, die sie gelesen hatte, war ihr aus den Händen gefallen und lag auf dem Boden. Auf ihrem Nachttisch stand ein halbleeres Glas Wasser und eine Packung rezeptfreier Schlaftabletten. Es schien ziemlich schwer zu sein, in Dubh Sgeir Vergessen zu finden, und ich hatte keine Zweifel, daß es für Susan Kirkside schwerer war als für viele andere.
Von einem Halter neben dem Waschbecken in einer Ecke des Raumes nahm ich ein Handtuch und rieb mir damit den schlimmsten Schmutz und die Feuchtigkeit vom Kopf und vom Gesicht, brachte mit einem Kamm notdürftig die Haare in Ordnung und probierte mein fröhlichstes und selbstsicherstes Lächeln im Spiegel aus. Ich sah aus wie jemand, der steckbrieflich in der ganzen Welt gesucht wird.
Ich brauchte fast zwei Minuten, um sie aufzuwecken oder zumindest aus den Tiefen des Vergessens in eine Art von Halbbewußtsein zurückzuholen. Bis sie wieder ganz bei sich war, dauerte es noch eine weitere Minute, und diese Tatsache rettete mich wahrscheinlich vor einem Schreikrampf. So hatte sie Zeit genug, langsam damit fertig zu werden, daß sich mitten in der Nacht ein Fremder in ihrem Zimmer befand. Nebenbei gesagt, ich hatte mein freundlichstes Lächeln aufgesetzt, und zwar so intensiv, daß meine Backenknochen zu schmerzen anfingen, aber ich glaube kaum, daß das viel half.
»Wer sind Sie? Wer sind Sie?« Ihre Stimme zitterte, und ihre noch völlig verschlafenen Augen öffneten sich weit und blickten mich angstvoll an. »Fassen Sie mich nicht an! Tun Sie es nicht … ich schreie um Hilfe … ich werde …«
»Ich werde Sie nicht anfassen, Sue Kirkside. Abgesehen davon, überlegen Sie sich einmal, was Ihnen Schreien hier überhaupt nützen würde. Schreien Sie nicht. So, seien Sie ein braves Mädchen. Überhaupt, sprechen Sie nur im Flüsterton. Ich glaube nicht, daß es sehr klug von Ihnen wäre, sich anders zu verhalten. Sind Sie nicht auch meiner Meinung?«
Einige Sekunden starrte sie mich an, ihre Lippen bewegten sich, als ob sie sprechen wolle, und ganz langsam wich die Furcht aus ihren Augen. Urplötzlich richtete sie sich kerzengerade auf und sagte: »Sie sind Mr. Johnson. Der Mann von dem Hubschrauber.«
»Sie sollten ein bißchen mehr auf sich aufpassen«, sagte ich vorwurfsvoll. »Selbst in den Folies Bergère würde man Sie in diesem Zustand verhaften.« Ihre freie Hand ergriff schnell die Überdecke und zog sie bis ans Kinn, als ich fortfuhr: »Ich heiße Calvert, und ich arbeite für den Staat. Ich bin ein
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