Das Mörderschiff
setzen?«
Sie setzte sich. Sie trug noch immer das unverwüstliche weiße Kleid, und ihr Haar war ordentlich gekämmt, das war aber auch alles, was man zu ihren Gunsten sagen konnte. Vielleicht hatte sie einen Anflug von Humor in ihrer Stimme, in ihrem Gesicht und in ihren Augen war davon jedoch nichts zu erkennen. Diese braunen, wissenden Augen, Augen, die alles vom Leben, von der Liebe und vom Lachen wußten, die Augen, die sie einst zur beliebtesten Schauspielerin ihrer Zeit gemacht hatten, in diesen Augen war nur noch Trauer und Verzweiflung. Und Angst. Jetzt, da sie ihrem Gatten und dessen Helfershelfern entkommen war, hätte es eigentlich keinen Grund mehr für diese Angst geben sollen. Aber sie war da. Halb verborgen. Aber vorhanden. Der Ausdruck der Angst ist etwas, das ich genau kenne. Die Fältchen unter den Augen und um den Mund, die so reizend aussahen, wenn sie lächelte oder lachte – in den Tagen, als sie noch gelächelt oder gelacht hatte –, sahen jetzt so aus, als hätten die Zeit, das Leid und die Verzweiflung sie für immer eingegraben in ein Gesicht, das niemals Lachen und Liebe gekannt hatte. Das Gesicht von Charlotte Skouras, ohne das der alten Charlotte Meiner dahinter. Ein Gesicht, das nicht mehr zu ihr gehörte. Ein erschöpftes, müdes und fremdes Gesicht. Ich nahm an, daß sie ungefähr fünfunddreißig Jahre alt sein mußte. Aber sie sah viel älter aus. Und doch, als sie fast zusammengekauert in diesem Sessel saß, existierte die Kunstgalerie von Craigmore für mich nicht mehr.
Sie sagte tonlos: »Sie vertrauen mir nicht, Philip.«
»Warum in aller Welt sagen Sie das? Warum sollte ich Ihnen nicht vertrauen?«
»Sagen Sie es mir. Sie weichen mir aus, Sie wollen meine Fragen nicht beantworten. Nein, das stimmt nicht einmal. Sie beantworten meine Fragen. Aber ich verstehe genug von Menschen, um zu wissen, daß Sie mir nur sagen, was Sie sagen wollen, und nicht das, was ich wissen müßte. Warum ist das so, Philip? Was habe ich getan, daß Sie mir nicht vertrauen?«
»Soll das heißen, daß ich nicht die Wahrheit sage? Gut, ich will zugeben, daß ich manchmal auf einem scharfen Grat wandle. Vielleicht lüge ich ab und zu. Aber alles selbstverständlich nur, wenn es beruflich notwendig ist. Ich würde einen Menschen wie Sie nie belügen.« Das meinte ich ernst und wollte es auch nicht tun – es sei denn für ihr Wohl. Das war etwas anderes.
»Warum sollten Sie einen Menschen wie mich nicht belügen?«
»Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll. Ich könnte sagen, daß ich im allgemeinen reizende und anziehende Frauen, von denen ich eine hohe Meinung habe, nicht belüge. Und daraufhin könnten Sie spöttisch erwidern, daß ich mit dieser Behauptung die Wahrheit auf eine harte Probe stelle. Aber Sie hätten unrecht, weil es die Wahrheit ist, wenn man auf dem Standpunkt steht, daß die Wahrheit immer nur vom Standpunkt des Betrachters aus gesehen werden kann. Ich weiß nicht, ob sich das wie eine Beleidigung anhört, aber es ist bestimmt nicht so gemeint. Schon deswegen nicht, weil ich es schrecklich finde, Sie in Ihrer derzeitigen Lage vor mir zu sehen. Völlig erledigt, kein Ort, wohin Sie gehen und niemanden, an den Sie sich wenden können. Das einzige Mal in Ihrem Leben, wo Sie einen Zufluchtsort haben müßten. Aber das hört sich wieder wie eine Beleidigung an, fürchte ich. Ich könnte auch beispielsweise sagen, daß ich meine Freunde nicht belüge. Aber auch das wäre eine Beleidigung, denn eine Charlotte Skouras macht sich nicht gemein mit Söldnern der Regierung, die für Geld morden. Es hat keinen Zweck, Charlotte, ich weiß nicht, was ich sagen soll, außer daß es keine Rolle spielt, ob Sie mir glauben oder nicht, solange Sie nur glauben, daß Ihnen von mir kein Leid droht, und daß, solange ich in Ihrer Nähe bin, Ihnen auch von niemandem anderen ein Leid drohen wird. Vielleicht glauben Sie auch das nicht. Vielleicht hat Ihr weiblicher Instinkt zu arbeiten aufgehört.«
»O nein. Er macht – wie nennen Sie das doch gleich? – Überstunden. Er arbeitet ganz intensiv.« Ihre braunen Augen waren ruhig und ihr Gesicht ausdruckslos. »Ich glaube wirklich, daß ich mein Leben in Ihre Hände geben könnte.«
»Vielleicht würden Sie es dann nicht wiederbekommen.«
»Soviel ist es gar nicht wert. Außerdem möchte ich es gar nicht zurück haben.«
Sie sah mich lange Zeit und ohne Furcht an. Dann blickte sie auf ihre gefalteten Hände. Sie betrachtete sie so
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