Das Mörderschiff
würde ihren Nutzen um 90 Prozent herabsetzen. Hinzu kommen noch schlechte Sicht und Regen. Die Chancen sind noch nicht mal eins zu hundert, ach, noch nicht mal eins zu tausend, etwas klar und definitiv erkennen zu können. Und falls sie wirklich entdeckt werden – falls – was dann? Ein freundliches Winken vom Piloten? Viel mehr kann der gar nicht tun.«
»Die Kriegsmarine, sie könnten die Kriegsmarine einsetzen …«
»Welche Kriegsmarine sollten sie einsetzen? Die aus dem Mittelmeer? Oder die aus dem fernen Osten? Die Kriegsmarine hat heutzutage nur noch sehr wenige Schiffe und fast überhaupt keine in diesen Gewässern. Bis ein Schiff der Kriegsmarine sich hier einfindet, wäre es auf jeden Fall wieder Nacht und die ›Nantesville‹ bis dahin längst über alle Berge. Und selbst wenn ein Kriegsschiff sie finden würde, was dann? Soll es sie durch Geschützfeuer versenken? Mit vielleicht fünfundzwanzig im Laderaum eingeschlossenen Besatzungsmitgliedern?«
»Könnten sie das Schiff nicht entern?«
»Mit denselben fünfundzwanzig Männern, in einer Reihe an Deck aufgestellt, und auf jeden Rücken zielt eine Pistole! Kapitän Imrie und seine Schurken würden unsere Jungens höflich fragen, was sie denn nun als nächstes vorhaben.«
»Ich zieh mir jetzt einen Pyjama an«, sagte Hunslett müde. In der Tür zögerte er und wandte sich um. »Falls die ›Nantesville‹ weg ist, dann ist auch ihre Besatzung – die neue Besatzung – weg, und wir werden keinen Besuch mehr bekommen. Hast du schon daran gedacht?«
»Nein.«
»Ich glaube eigentlich auch nicht daran.«
Sie kamen zwanzig Minuten nach vier in der Früh. Sie kamen sehr ruhig und ordentlich, und alles ging äußerst offiziell und gesetzmäßig vor sich. Sie blieben vierzig Minuten, und als sie uns wieder verlassen hatten, war ich mir noch immer nicht ganz klar, ob das die von uns gesuchten Leute waren oder nicht.
Hunslett kam in meine Kabine, die sich vorn Steuerbord befand. Er machte das Licht an und schüttelte mich. »Wach auf«, sagte er laut. »Na komm schon, wach auf.«
Ich war hellwach, ich hatte kein Auge zugemacht, seit ich mich hingelegt hatte. Ich stöhnte und ächzte ein wenig, ohne es dabei zu übertreiben, und machte dann ein verschlafenes Auge auf. Hinter ihm war niemand.
»Was ist los. Was willst du denn?« Eine Pause. »Was, zum Teufel ist denn los? Es ist schließlich erst kurz nach vier Uhr morgens.«
»Frag mich nicht, was los ist«, sagte Hunslett gereizt. »Polizei. Sie sind gerade an Bord gekommen. Sie sagen, es eilt.«
»Polizei? Hast du eben Polizei gesagt?«
»Ja, nun komm schon. Sie warten auf uns.«
»Polizei bei uns an Bord? Was …«
»Ach zum Teufel! Wie viele Drinks hast du vergangene Nacht noch zu dir genommen, nachdem ich zu Bett gegangen war? Polizei! Zwei Mann hoch und zwei Zollbeamte. Es eilt, behaupten sie.«
»Ich will nur hoffen, daß es wirklich verdammt eilig ist. Mitten in der Nacht. Wer, glauben sie, sind wir – entflohene Posträuber? Hast du ihnen denn nicht gesagt, wer wir sind? Also gut, zum Teufel, also gut, ich komme schon.«
Hunslett verschwand, und ich ging etwa dreißig Sekunden später zu ihm in den Salon. Dort saßen vier Leute. Zwei Polizeibeamte und zwei Zollbeamte. Sie machten auf mich nicht den Eindruck einer Verbrecherbande. Der ältere, größere Polizist stand auf. Er war ein stämmiger Polizeimeister mit braungebranntem Gesicht. Ende vierzig. Er sah mich kaltblutig an und blickte von mir auf die fast leere Whiskyflasche und die zwei benutzten Gläser, die auf dem Tisch standen, dann sah er wieder mich an. Er konnte reiche Jachtbesitzer nicht leiden. Er konnte diese Leute nicht leiden, die nachts zuviel tranken und bei Morgengrauen verschlafen mit blutunterlaufenen Augen und wirrem Haar herumstanden. Er konnte diese reichen schwächlichen Leute nicht leiden, die rotseidene chinesische Drachenmorgenmäntel und um den Hals einen seidenen Schal trugen. Ich mochte diese Leute eigentlich auch nicht sehr gut leiden, ganz besonders mißfiel mir der seidene Schal, obgleich er zur Zeit in diesen Kreisen sehr in Mode war. Aber ich brauchte etwas, um die Flecken an meinem Hals zu verdecken.
»Sind Sie der Eigentümer dieses Bootes, Sir?« erkundigte sich der Polizist. Er sprach mit dem unverwechselbaren Akzent der Leute des westlichen Hochlandes. Es war eine höfliche Stimme, aber es dauerte eine ganze Weile, bis er seine Zunge dazu brachte, das Wort ›Sir‹
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