Das mohnrote Meer - Roman
zweifelsfrei erwiesen, dass Sie wiederholt die Unterschrift Mr. Benjamin Brightwell Burnhams, eines der angesehensten Kaufleute dieser Stadt, gefälscht haben in der Absicht des vorsätzlichen Betrugs an einer großen Zahl Ihrer Angehörigen, Freunde und Geschäftspartner, an Menschen, die Ihnen aus Hochachtung vor Ihrer Familie ihr Vertrauen geschenkt haben, aus Hochachtung
auch vor Ihrem Vater, dem verstorbenen Raja Ram Rattan Halder, von dem man mit Fug und Recht sagen kann, dass nur ein einziger Tadel an seinem Namen haftet, nämlich der, einen so infamen Verbrecher wie Sie gezeugt zu haben. Ich bitte Sie zu bedenken, Nil Rattan Halder: Wenn ein Delikt wie Ihres schon bei einem einfachen Mann Ahndung verlangt, wie viel lauter ruft es dann nach Bestrafung, wenn derjenige, der es begangen hat, in begüterten Verhältnissen lebt – ein Mann an der Spitze der einheimischen Gesellschaft, der nur eins will: seinen Reichtum auf Kosten seiner Mitmenschen mehren. Wie soll die Gesellschaft über einen Urkundenfälscher urteilen, der zugleich ein Mann von Bildung ist, der alle Bequemlichkeit genießt, die Reichtum spenden kann, dessen Wohlstand so beträchtlich ist, dass er ihn weit über seine Landsleute erhebt, der von seinesgleichen als höheres Wesen, fast als Gott angesehen wird? Welch dunkle Seite offenbart das Betragen eines solchen Mannes, wenn er, nur um seine Schatullen weiter zu füllen, ein Verbrechen begeht, das seine eigenen Angehörigen, die von ihm Abhängigen und seine Untergebenen in den Ruin treibt? Ist es nicht die Pflicht des Gerichts, an einem solchen Mann ein Exempel zu statuieren, nicht nur in strikter Befolgung des Gesetzes, sondern auch um jenen hehren Auftrag zu erfüllen, der uns gebietet, die Eingeborenen dieses Landes in den Gesetzen und Gebräuchen zu unterweisen, von denen sich zivilisierte Nationen leiten lassen?«
Während der Richter weitertönte, schien es Nil, als würden auch seine Worte zu Staub, um mit der weißen Wolke zu verschmelzen, die über der Perücke kreiste. Nils Unterricht in der englischen Sprache war so stark am Studium von Texten ausgerichtet gewesen, dass er der gesprochenen Sprache auch jetzt leichter zu folgen vermochte, wenn er sie im Kopf in Schrift
umsetzte. Das hatte unter anderem zur Folge, dass die Sprache ihrer Unmittelbarkeit beraubt und ins Abstrakte gewendet wurde, so fern von Nils Wirklichkeit wie die Wellen des Windermere oder die Pflastersteine Canterburys. Während die Worte dem Mund des Richters entströmten, kam es ihm vor, als hörte er in einem fernen Brunnen Kieselsteine klappern.
»Nil Rattan Halder«, sagte der Richter und schwenkte einen Stoß Papiere, »wie es scheint, fehlt es Ihnen trotz der Unberechenbarkeit und Verderbtheit Ihres Charakters nicht an Anhängern und Unterstützern, denn das Gericht hat mehrere Petitionen zu Ihren Gunsten erhalten, einige von höchst ehrenwerten Einheimischen und sogar von Engländern unterzeichnet. Das Gericht ist zudem Empfänger eines von in den Gesetzen Ihrer Religion bewanderten Pandits und Munshis erstellten Gutachtens: Sie vertreten die Ansicht, dass es nicht rechtens sei, einen Mann Ihrer Kaste und Ihres Standes in gleicher Weise zu bestrafen wie andere. Darüber hinaus sahen sich die Geschworenen zu dem außergewöhnlichen Schritt veranlasst, Sie der Barmherzigkeit des Gerichts anzuempfehlen.«
Mit einer abweisenden Geste ließ der Richter die Papiere aus der Hand gleiten. »Dieses Gericht schätzt wohlgemerkt nichts so sehr wie eine Empfehlung der Geschworenen, denn sie kennen die Gepflogenheiten der Menschen und können um mildernde Umstände wissen, die sich der Kenntnis des Richters entziehen. Seien Sie überzeugt, dass ich jede mir vorgelegte Eingabe einer überaus ernsthaften Prüfung unterzogen habe in der Hoffnung, darin stichhaltige Gründe für ein Abweichen vom geraden Pfad des Rechts zu finden. Meine Bemühungen waren jedoch, wie ich gestehen muss, vergeblich. In keiner dieser Eingaben konnte ich auch nur entfernt Hinweise auf mildernde Umstände entdecken. Nehmen Sie beispielsweise, Nil Rattan Halder, die Ansicht der gelehrten
Pandits Ihrer Religion, dass ein Mann Ihres Standes von gewissen Formen der Bestrafung ausgenommen sein müsse, weil sie auch seine unschuldige Frau und sein Kind treffen könnten, die dadurch ihre Kastenzugehörigkeit verlieren würden. Ich räume die Notwendigkeit einer Anpassung des Gesetzes an religiöse Bräuche der Einheimischen durchaus ein, sofern sie der
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