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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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ist.«
    Während ihre Worte in ihn einsanken, trockneten seine Tränen,
und er breitete die Arme aus, um Frau und Sohn an seine Brust zu ziehen. »Hört zu«, sagte er, »ich werde am Leben bleiben, das verspreche ich euch. Und wenn die sieben Jahre um sind, komme ich zurück und bringe euch beide fort aus diesem fluchbeladenen Land, dann fangen wir woanders ein neues Leben an. Ich bitte euch nur um eins: Zweifelt nicht daran, dass ich zurückkomme, denn ich werde zurückkommen.«

    Der Tamasha für Kapitän Chillingworth mit all seinem Wirbel und Durcheinander lag noch nicht lange zurück, da wurde Paulette wieder ins Schlafzimmer der Bara Bibi zitiert. Es war kurz nachdem Mr. Burnham in seinen Daftar aufgebrochen war. Die Räder seiner Kutsche knirschten noch auf dem Kies der Einfahrt, als ein Khidmatgar an Paulettes Tür klopfte und die Aufforderung überbrachte. Da es nicht oft vorkam, dass Mrs. Burnham um diese Zeit schon ganz aus ihrem Laudanum-Schlaf erwacht war, lag die Vermutung nahe, dass eine dringende Angelegenheit zu besprechen war, ein unangekündigtes Kirchenfrühstück etwa oder sonst eine unerwartete Bewirtung. Doch als Paulette ins Zimmer der Bibi eingelassen wurde, sah sie, dass etwas noch nie Dagewesenes im Gange sein musste, denn Mrs. Burnham war nicht nur bereits hellwach, sie war auch schon aufgestanden, tänzelte im Zimmer umher und stieß die Fensterläden auf.
    »O Paggli«, rief sie, als Paulette eintrat. »Wo bleibst du denn, meine Liebe?«
    »Aber Madame, ich bin doch auf der Stelle gekommen.«
    »Ach ja? Es kommt mir vor, als hätte ich eine Ewigkeit gewartet. Ich dachte schon, du wärst ein Ei legen gegangen.«
    »Aber Madame!«, protestierte Paulette. »Ich bin doch kein Huhn!«
    »Nein, meine Liebe«, stimmte Mrs. Burnham zu. »Auf dem
Thron zu sitzen wäre in der Tat nicht angebracht, wo ich so eine Neuigkeit für dich habe.«
    »Eine Neuigkeit?«, fragte Paulette. »Es gibt eine Neuigkeit?«
    »So ist es. Aber wir müssen uns aufs Bett setzen, Paggli. So etwas bespricht man nicht im Stehen.« Die Bibi nahm Paulette bei der Hand, führte sie durchs Zimmer und räumte die Bettkante frei.
    »Aber was ist denn arriviert, Madame?« Paulettes Beunruhigung wuchs. »Doch hoffentlich nichts Schlimmes?«
    »Gütiger Himmel, nein! Es ist eine ganz wunderbare Neuigkeit, meine Liebe.«
    Mrs. Burnhams Worte waren so voller Wärme und ihre blauen Augen so voller Anteilnahme, dass es Paulette ein wenig bange wurde. Irgendetwas stimmte nicht – konnte es sein, dass die Bibi mit ihren geradezu unheimlichen hellseherischen Fähigkeiten ihr bestgehütetes Geheimnis gelüftet hatte? »O Madame«, platzte sie heraus, »es geht doch nicht um …?«
    »Um Mr. Kendalbushe?«, half Mrs. Burnham erfreut nach. »Ja, woher weißt du das?«
    Paulette stockte der Atem, und sie konnte nur verblüfft wiederholen: »Mr. Kendalbushe?«
    »Du schlauer kleiner Schaitan!« Die Bibi gab ihr einen Klaps aufs Handgelenk. »Hast du geraten, oder hat es dir jemand gesagt?«
    »Weder noch, Madame. Ich versichere Ihnen, ich weiß nicht …«
    »Oder haben wir’s einfach mit einem Gleichklang der Herzen zu tun?«, fuhr die Bibi schelmisch fort. »Wie bei zwei Glocken in einem Kirchturm?«
    »Aber Madame!«, rief Paulette verzweifelt. »Nichts dergleichen!«

    »Nun, dann frage ich mich, woher du es wusstest.« Die Bibi fächelte sich mit ihrer Nachthaube. »Was mich selbst betrifft: Ein Sturm kann eine Palme nicht so leicht umwerfen wie diese Nachricht mich, als Mr. Burnham mir heute Morgen davon erzählt hat.«
    »Wovon erzählt hat, Madame?«
    »Von seinem Gespräch mit dem Richter«, sagte Mrs. Burnham. »Die beiden haben gestern Abend im Bengal Club diniert, weißt du, und nachdem sie über dieses und jenes geredet hatten, hat Mr. Kendalbushe gefragt, ob er eine etwas delikate Angelegenheit ansprechen kann. Mr. Burnham bringt Mr. Kendalbushe, wie du weißt, höchste Wertschätzung entgegen und hat natürlich Ja gesagt. Und nun rate mal, Paggli, was für eine Angelegenheit das war.«
    »Eine juristische?«
    »Nein, meine Liebe, viel delikater: Er wollte fragen, ob du, liebe Paggli, ihn erhören würdest.«
    »Erhören?«, fragte Paulette verwirrt. »Aber ich höre doch immer zu, Madame.«
    »Nein, nicht hören, erhören, du Dummchen.« Mrs. Burnham lachte gutmütig. »Er sprach vom Heiraten. Versteh doch, Paggli: Er will um deine Hand anhalten.«
    »Um meine Hand anhalten?«, rief Paulette erschrocken. »Aber Madame! Warum

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