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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Madame?«
    »Aber nein, Sie Äffchen!« Mrs. Doughty kniff Paulette ins Ohr. »Keine Rede. Aber Sie haben doch sicher bemerkt, dass er nichts von dem Dampuk nehmen wollte und über den Pfau die Nase gerümpft hat? Also wenn ein Mann nichts isst, dann hat das immer etwas zu bedeuten, wenn Sie mich fragen. Richter Kendalbushe hat sich jedes Mal geärgert, wenn Sie mit Mr. Reid gesprochen haben.« So ging es immer weiter, und Paulette gelangte mehr und mehr zu der Überzeugung, dass der Richter sie dabei ertappt hatte, wie sie die falsche Gabel oder ein unpassendes Messer benutzt hatte, und dass er Mrs. Burnham von diesem Fauxpas berichten würde.
    Zu allem Überfluss kam Mr. Kendalbushe, als die Tür aufging und die Herren eintraten, auch noch geradewegs auf Paulette und Mrs. Doughty zu und hob zu einer Moralpredigt
über Völlerei an. Paulette tat so, als hörte sie zu, aber in Wirklichkeit waren alle ihre Sinne auf Zachary gerichtet, der irgendwo hinter ihr sein musste. Doch von Mrs. Doughty und Mr. Kendalbushe vereinnahmt, gab es für sie kein Entrinnen, bis der Abend so gut wie zu Ende war. Erst als die Gäste sich verabschiedeten, konnte Paulette noch einmal mit Zachary sprechen. Sie bemühte sich, Haltung zu bewahren, sagte dann jedoch mit weit mehr Ungestüm als beabsichtigt: »Sie werden auf ihn aufpassen, nicht wahr – auf meinen Jodu?«
    Zu ihrer Überraschung antwortete er ähnlich eindringlich. »Seien Sie versichert, das werde ich. Und falls ich sonst noch etwas tun kann, Miss Lambert, brauchen Sie es nur zu sagen.«
    »Sie müssen achtgeben, Mr. Reid«, sagte Paulette scherzhaft. »Mit einem Namen wie Zikri könnten Sie beim Wort genommen werden.«
    »Wär mir ein Vergnügen, Miss. Sie können sich jederzeit an mich wenden.«
    Die Ehrlichkeit, die aus Zacharys Worten sprach, rührte Paulette. »Ach, Mr. Reid!«, rief sie, »Sie haben schon so viel getan.«
    »Was denn? Ich habe gar nichts getan, Miss Lambert.«
    »Sie haben mein Geheimnis für sich behalten«, flüsterte Paulette. »Vielleicht können Sie sich nicht vorstellen, was das in der Welt, in der ich lebe, bedeutet? Schauen Sie sich um, Mr. Reid. Sehen Sie hier jemanden, der auch nur eine Sekunde lang glauben würde, dass eine Memsahib einen Eingeborenen – einen Domestiken – als ihren Bruder betrachtet? Nein, da kämen sofort die schlimmsten Unterstellungen.«
    »Nicht von mir, Miss Lambert«, sagte Zachary. »Da können Sie sicher sein.«
    »Wirklich?« Sie sah ihm gerade in die Augen. »Es erscheint Ihnen nicht incroyabel, dass es zwischen einem weißen Mädchen
und einem Jungen anderer Rasse eine so enge und doch so unschuldige Bindung geben kann?«
    »Keineswegs, Miss Lambert – ich bin doch selbst …« Zachary brach ab und hüstelte hinter vorgehaltener Hand. »Ich versichere Ihnen, Miss Lambert, ich habe schon von weit seltsameren Dingen gehört.«
    Paulette spürte, dass er noch etwas hinzufügen wollte, doch da ertönte plötzlich eine donnernde Flatulenz. In dem betretenen Schweigen, das darauf folgte, sah niemand zu Mr. Doughty hin, der mit Unschuldsmiene den Knauf seines Spazierstocks inspizierte. Mrs. Doughty oblag es, die Situation zu retten. »Ah!«, rief sie und klatschte fröhlich in die Hände. »Der Wind frischt auf, wir müssen Segel setzen. Anker los! Wir gehen!«

ZWÖLFTES KAPITEL
    V iele Tage vergingen, ohne dass Nil erfuhr, wann genau er ins Gefängnis von Alipur verlegt werden sollte, in dem die Häftlinge gewöhnlich auf ihren Abtransport warteten. Er durfte zwar in seinen Räumen in Lalbazar bleiben, aber dass seine Situation sich verändert hatte, wurde ihm auf vielerlei Weise deutlich gemacht. Er durfte nicht mehr jederzeit Besuch empfangen, und es vergingen ganze Tage, an denen er niemanden zu Gesicht bekam. Die Wachen vor seiner Tür gaben sich keine Mühe mehr, ihm Ablenkung zu verschaffen, und ihr zuvor so unterwürfiger Ton wurde jetzt rau und mürrisch. Nachts sicherten sie seine Tür mit Ketten, und er durfte seine Räume nur noch in Handfesseln verlassen. Er wurde auch nicht mehr von seinem eigenen Personal bedient, und als er sich über den Staub beschwerte, fragte ihn der Wachhabende, ob man ihm einen Besen bringen solle, damit er selbst Abhilfe schaffen könne. Ohne den spöttischen Unterton des Mannes hätte Nil zugestimmt, aber nun schüttelte er den Kopf. »Es sind ja nur noch ein paar Tage, nicht wahr?«
    Der Mann brach in schallendes Gelächter aus. »Ja, und dann geht’s ab in deinen Palast in

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