Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
Vom Netzwerk:
schrie, bis schließlich einer der alten Khidmatgars erschien. › Sāp! Sāp! ‹, sagte ich zu ihm. ›Eine Schlange aus dem Dschungel ist hier hereingekommen. Jag sie hinaus!‹ Er
bückte sich, um den Fleck zu examinieren, und als er sich wieder aufrichtete, sagte er etwas sehr Kurioses, Mr. Reid, Sie werden es nicht glauben …«
    »Nur zu, Miss, geben Sie mir den Rest.«
    »Er sagte: ›Das stammt nicht von einer Schlange aus dem Dschungel, das stammt von der Schlange, die im Manne lebt.‹ Ich hielt das für eine biblische Allusion und sagte: ›Amen.‹ Ich überlegte sogar, ob ich nicht noch ein ›Halleluja‹ hinzufügen sollte, aber da fing der Khidmatgar an zu lachen und lief hinaus. Und trotzdem, Mr. Reid, begriff ich nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Ich lag die ganze Nacht wach und dachte darüber nach, und bei Tagesanbruch wusste ich es plötzlich. Danach konnte ich natürlich nicht mehr in dem Haus bleiben. Ich schickte Jodu durch einen anderen Bootsführer eine Nachricht, und jetzt bin ich hier. Aber es ist sehr schwer, sich in Kalkutta vor Mr. Burnham zu verstecken. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis ich dekuvriert werde. Ich muss deshalb aus dem Land fliehen, Mr. Reid, und ich habe auch schon entschieden, wo ich hin muss.«
    »Nämlich?«
    »Nach Mauritius, Mr. Reid. Dort muss ich hin.«

    Jodu hatte Paulette, während er ruderte, die ganze Zeit aufmerksam zugehört, und Zachary schloss daraus, dass er bis jetzt nicht gewusst hatte, was zwischen ihr und Mr. Burnham vorgefallen war. Wie zur Bestätigung brach nun ein hitziger Streit aus, ein klagender bengalischer Wortschwall kam aus Jodus Mund, er ließ die Riemen ruhen, und das Boot begann flussabwärts zu treiben.
    Zachary schaute zum Ufer hinüber, und als er das grüne Dach eines Pavillons im Mondlicht schimmern sah, wusste er, dass sie bald auf der Höhe des Burnham’schen Anwesens angelangt
sein würden. Bethel ragte in einiger Entfernung auf wie der Rumpf eines unbeleuchteten Schiffes, und plötzlich fühlte sich Zachary in den Speiseraum der Burnhams zurückversetzt, als Paulette neben ihm gesessen hatte, rosig und jungfräulich in ihrem strengen schwarzen Kleid. Er dachte an die melodische Brise ihrer Stimme und daran, wie sich ihm den ganzen Abend der Kopf gedreht hatte bei dem Gedanken, dass dieses Mädchen, in dem sich Welterfahrenheit und Unschuld so seltsam vermischten, dieselbe Paulette war, die er im Zwischendeck in inniger Umarmung mit dem jungen Laskaren, den sie ihren »Bruder« nannte, angetroffen hatte. Schon damals hatte er hinter ihrem Lächeln einen Hauch von Melancholie wahrgenommen, und als er sich nun fragte, was deren Ursache sein mochte, stieg eine Erinnerung in ihm auf, an den Tag, als seine Mutter ihm erzählt hatte, wie sie zum ersten Mal von ihrem Herrn – seinem Vater – in die Waldhütte gerufen worden war, in der er seine Sklavinnen zu beschlafen pflegte. Vierzehn sei sie damals gewesen, und sie habe zitternd an der Tür gestanden, unfähig, sich von der Stelle zu rühren, selbst noch als der alte Mr. Reid gesagt habe, sie solle aufhören zu heulen und zum Bett herüberkommen.
    Die Frage, ob Mr. Burnham ein besserer oder schlechterer Mensch war als der Mann, der ihn gezeugt hatte, erschien Zachary müßig, denn für ihn stand fest, dass Macht die Menschen zu unerklärlichem Handeln trieb, ob es sich nun um einen Kapitän, einen Bootsmann oder einen Pflanzer wie seinen Vater handelte. Nahm man dies als gegeben an, folgte daraus auch, dass die Launen der Herren ebenso freundlich wie grausam sein konnten – hatte der alte Mr. Reid nicht aus einem solchen Impuls heraus seiner Mutter die Freiheit geschenkt, damit ihr Sohn nicht als Sklave geboren wurde? Und hatte nicht er, Zachary, selbst in einem Ausmaß von Mr. Burnham
profitiert, das es ihm unmöglich machte, ihn vorschnell zu verurteilen? Dennoch hatte sich alles in ihm zusammengekrampft, als seine Mutter ihm erzählte, was damals in Mr. Reids Waldhütte geschehen war. Und obgleich Paulettes Erlebnisse mit Mr. Burnham damit in keiner Weise zu vergleichen waren, hatte ihre Geschichte ihm doch einen Stich versetzt – Mitgefühl hatte sich in ihm geregt, aber auch erwachender Beschützerinstinkt. »Miss Lambert«, platzte er nun in ihren Streit mit Jodu hinein, »Miss Lambert, glauben Sie mir, wenn ich die Mittel hätte, sesshaft zu werden, ich würde Ihnen auf der Stelle anbieten, Sie zu …«
    Doch Paulette schnitt ihm das Wort ab. »Mr. Reid«,

Weitere Kostenlose Bücher