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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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alljährlich erneuerten Verordnung, dass kein Bürger von Guangzhou den Ausländern »Frauen oder Jungen« zuführen dürfe. Aber war ein solches Edikt wirklich durchzusetzen? Wie so oft wich das, was offiziell verlautbart wurde, stark von dem ab, was sich herumsprach. Gewiss konnte den Behörden nicht entgehen, dass sich die Frauen auf den Blumenbooten, die den Perlfluss auf und ab fuhren, Laskaren, Kaufleuten, Dolmetschern, Geldwechslern und überhaupt jedem anboten, der auf Zerstreuung aus war. Undenkbar auch, dass die Behörden nicht gewusst hätten, dass mitten im Zentrum der Fankuai-Enklave eine verdreckte Gasse lag, die sich zahlreicher Tavernen rühmte, in denen nicht nur alkoholische Getränke, sondern auch andere Rauschmittel zu haben waren, von denen die Umarmung einer Frau nicht das Schlechteste war. Die Behörden wussten mit Sicherheit, dass die Dan, die viele der Sampans, Lanteas und Lastkähne auf dem Perlfluss bemannten, ebenfalls kleine, aber wichtige Dienstleistungen für die Fankuai erbrachten, indem sie beispielsweise ihre Wäsche wuschen – und zwar nicht nur Kleider, sondern auch Bett- und Tischwäsche (vor allem Letztere, denn Essen und Trinken gehörten nicht zu den Luxusgütern, die den armen Teufeln verboten waren). Es versteht sich von selbst, dass dies nicht ohne häufige Besuche vonstatten ging – und bei einer solchen Gelegenheit lernte auch ein junger, verteufelt charmanter »Guter«, Bahramji Naurozji Moddie, das hübsche junge Dan-Mädchen Lei Chi Mei kennen.

    Es begann recht prosaisch mit der Übergabe von Tischdecken und Servietten, die gründlich mit sonntäglichem Hühnchen-Gemüse-Eintopf verschmutzt waren und die der junge Barry, wie er bei den Fankuai hieß, in das Wäschereibuch eintragen musste, das er als Jüngster der »Guten« zu führen hatte. Und es war auch ein »Guter«, der die erste Paarung der beiden herbeiführte – das heißt, eigentlich war es eine dieser langen Stoffbahnen, die den Kopfputz fest hielten: Es trug sich nämlich zu, dass einer der großen Fabrikherren, Jamshedji Sohrabji Nasserwanji Batlivala, eines Tages einen Riss in seinem Turbantuch entdeckte und den jungen Barry so herunterputzte, dass der junge Mann, als der Augenblick gekommen war, das beschädigte Stück Chi Mei zu zeigen, in Tränen ausbrach und so kunstvoll weinte, dass sich der Turban immer wieder und wieder um die beiden herumwickelte, bis sie schließlich wie in einen Kokon eingesponnen waren.
    Es sollten noch mehrere Jahre der Liebe und Leidenschaft vergehen, bis Chi Mei einen Sohn zur Welt brachte, dessen Geburt seinen Vater zu solch fieberhaftem Optimismus anregte, dass er ihm den eindrucksvollen Namen Framji Pestonji Moddie gab in der Hoffnung, ihm dadurch die Aufnahme in die Welt der »Guten« zu erleichtern. Doch Chi Mei, die viel besser wusste, welches Schicksal Kinder zu erwarten hatten, die weder Dan noch Fankuai waren, nannte den Jungen vorsichtshalber »Leong Fatt«.

    Die Mistris gaben schon bald bekannt, dass die Frauen unter den Auswanderern gewisse niedrige Dienste für die Offiziere, Wachen und Aufseher zu übernehmen hätten, ihre Wäsche waschen beispielsweise, Knöpfe annähen, ihre Kleidung ausbessern und dergleichen mehr. Erpicht darauf, sich in irgendeiner Weise zu betätigen, entschied sich Paulette für das Wäschewaschen
zusammen mit Hiru und Ratna; Diti, Champa und Sarju übernahmen die Näharbeiten. Munia ergatterte die einzige Tätigkeit, die als annähernd reizvoll gelten konnte: Sie versorgte die Schlachttiere, die in den Booten untergebracht waren und fast ausschließlich von Offizieren, Wachen und Aufsehern verspeist wurden.
    Die Ibis war mit sechs Booten ausgestattet, zwei kleinen Klinkerjollen, zwei mittelgroßen Kuttern und zwei kraweelgebauten Beibooten, jedes volle zwanzig Fuß lang. Die Jollen und Kutter waren auf dem Dach des Deckshauses untergebracht, das kleinere jeweils im größeren, und mit Bootsklampen gesichert. Die Beiboote hingen mittschiffs in Davits. Bei den Laskaren hießen diese kranähnlichen Davits »Devis«, also »Göttinnen«, und das nicht ohne Grund, denn ihre Taue und Geien kreuzten sich so mit den Großwanten, dass halb versteckte kleine Nischen entstanden, die an den schützenden Schoß einer Göttin erinnerten. In diesen Schlupfwinkeln konnten ein oder zwei Personen dem Getriebe auf dem Hauptdeck durchaus für ein paar Minuten entgehen. Die Speigatten, an denen die Wäsche gewaschen wurde, lagen unter den Davits, und

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