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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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den Lippen.‹«
    Der Gedanke, dass Jodu starke amouröse Neigungen hegen könnte, war Paulette noch nie gekommen, und seine Kühnheit schockierte sie. »Aber Munia! War jemand in der Nähe?«
    »Nein, es war dunkel, da konnte uns niemand sehen.«
    »Und hast du ihn gelassen?«, fragte Paulette. »An deinem Herzen horchen?«
    »Natürlich nicht!«
    Paulette schob ihren Kopf unter Munias ghūnghat , um ihr in die Augen sehen zu können. »Nein! Das darf nicht wahr sein!«
    »O Paggli!« Munia lachte spitzbübisch und zog ihren ghūnghat weg. »Du magst ja eine Devi sein, aber ich bin ein Schaitan!«
    Plötzlich sah Paulette über Munias Schulter hinweg Zachary vom Achterdeck herabkommen. Sein Weg musste ihn direkt an den Davits vorbeiführen. Paulettes Glieder spannten sich unwillkürlich an, sie löste sich von Munia und drückte sich gegen das Schanzkleid. Zufällig hatte sie gerade eines seiner Hemden in der Hand, und sie versteckte es schnell.
    Munia wunderte sich über ihre Nervosität und fragte: »Was hast du denn?«
    Paulettes Gesicht war zwischen ihren Knien vergraben, und ihren ghūnghat hatte sie fast bis zu den Knöcheln herabgezogen, aber Munia konnte der Richtung ihres Blicks mühelos folgen. Als Zachary vorbeiging, lachte sie leise auf.
    »Sei still, Munia!«, zischte Paulette. »Das gehört sich nicht.«

    »Für wen?«, fragte Munia vergnügt kichernd. »Sieh einer an, da spielt sie die Devi, dabei ist sie kein bisschen anders als ich. Ich hab genau gesehen, wem du nachgeschaut hast. Er hat zwei Arme und eine Flöte wie jeder andere Mann auch.«

    Den beiden Sträflingen wurde von Anfang an klargemacht, dass sie ihre Tage überwiegend damit zubringen würden, Werg zu zupfen und zu rollen. Jeden Morgen wurde ihnen ein großer Korb Hanfabfälle hingestellt, und sie mussten bis zum Abend brauchbares Werg daraus drehen. Außerdem sagte man ihnen, dass sie im Gegensatz zu den Auswanderern zu den Mahlzeiten nicht an Deck dürften; ihr Essen würde man ihnen in Holznäpfen unter Deck bringen. Einmal pro Tag würden sie aber herausgelassen, um ihren gemeinsamen Toiletteneimer zu leeren und sich mit ein paar Krügen Wasser zu waschen. Anschließend würde man sie an Deck bringen, damit sie sich ein wenig die Beine vertreten konnten.
    Bhairo Sing machte sich sofort anheischig, den letzteren Teil ihres Tagesablaufs zu gestalten: Offenbar machte es ihm großen Spaß, so zu tun, als seien die beiden Männer ein Ochsengespann und er der Bauer, der ein Feld bestellt. Er wickelte ihnen ihre Ketten so um den Hals, dass sie gebückt gehen mussten, schüttelte die Ketten dann wie Zügel und schnalzte mit der Zunge, um sie anzutreiben, wobei er ab und zu mit seinem Stock nach ihren Beinen schlug. Nicht nur verschaffte es ihm große Befriedigung, ihnen Schmerzen zuzufügen (obwohl auch das eine große Rolle spielte): Mit den Schlägen und Erniedrigungen wollte er auch allen beweisen, dass er, Bhairo Sing, sich von den nichtswürdigen Kreaturen in seiner Gewalt nicht kontaminieren ließ. Nil brauchte ihm nur in die Augen zu schauen, um zu wissen, dass der Abscheu, den er und Ah Fatt in dem Subedar erregten, weit über die Verachtung hinausging,
die er vielleicht für gewöhnliche Verbrecher empfunden hätte. Thags und Dacoits hätte er wahrscheinlich als verwandte Seelen betrachtet und mit einem gewissen Respekt behandelt, aber Nil und Ah Fatt waren für ihn Missgeburten – der eine, weil er ein dreckiger Ausländer war, der andere, weil er aus seiner Kaste ausgestoßen worden war. Noch schlimmer war in seinen Augen, dass die beiden Verurteilten offenbar Freunde waren und keiner die Oberhand über den anderen gewinnen wollte. Für Bhairo stand damit fest, dass sie gar keine Männer waren, sondern kastrierte, impotente Kreaturen – mit einem Wort: Ochsen. Während er sie übers Deck trieb, rief er zum Gaudium der Mistris und Silahdars: »Hüh … immer schön weiter … und heult jetzt nicht euren Klöten nach … die bringen euch auch Tränen nicht zurück.«
    Oder er schlug sie auf die Genitalien und lachte, wenn sie sich vor Schmerz krümmten: »Was ist denn? Seid ihr denn keine hijrās , ihr beiden? Lust oder Schmerz zwischen den Beinen, das kennt ihr doch gar nicht.«
    Um sie gegeneinander aufzubringen, teilte der Subedar manchmal einem von beiden eine Extraration Essen zu oder ließ den anderen zweimal hintereinander den Eimer säubern: »Komm, lass mal sehen, ob du Geschmack am Kot deines Lieblings findest.«
    Dass

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