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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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großer Zahl festgemacht, dass sie eine breite, schwimmende Fläche bildeten, die bis fast zur Flussmitte reichte: Alles war durcheinandergemischt, Wasser und Schlamm, Boote und Lagerhäuser, doch die Unordnung täuschte, denn selbst in diesem wimmelnden Streifen aus Schlick und Wasser gab es klar abgegrenzte kleine Gemeinden und Kolonien. Und die seltsamste von ihnen war zweifellos
die kleine Enklave, die den Ausländern zugewiesen war, die ins Land kamen, um mit China Handel zu treiben, den Nichtchinesen, die von den Kantonesen einfach nur »Fankuai« – Fremde – genannt wurden.
    Auf dieser spitz zulaufenden Sandbank, knapp außerhalb der südwestlichen Tore der ummauerten Stadt, hatte man den Fremden gestattet, eine Reihe sogenannter Fabriken zu errichten, bei denen es sich in Wirklichkeit nur um schmale Backsteinbauten handelte, teils Lagerhaus, teils Wohnhaus, teils Geldwechselstube. In den wenigen Monaten des Jahres, in denen sie in Kanton wohnen durften, mussten die Fremden ihre teuflischen Machenschaften auf diese schmale Enklave beschränken. Der Aufenthalt innerhalb der Stadtmauern war ihnen verboten – wie allen Ausländern, jedenfalls nach Aussage der Behörden, die behaupteten, das werde seit fast hundert Jahren so gehandhabt. Doch jeder, der einmal drinnen war, konnte berichten, dass es sehr wohl bestimmte Arten von Ausländern in der Stadt gab. Man brauchte nur auf der Chang-shou-Straße am Hao-Lin-Tempel vorbeizugehen, um Mönchen aus finsteren westlichen Regionen zu begegnen, und weiter drinnen konnte man sogar eine Statue des buddhistischen Priesters sehen, der den Tempel gegründet hatte: Niemand konnte bestreiten, dass dieser Proselyt genauso ausländisch war wie Shakyamuni selbst. Wagte man sich noch weiter hinein und ging die Guang-li-Straße entlang zum Huai-shang-Tempel, erkannte man an der Form des Minaretts sofort, dass man trotz der äußeren Ähnlichkeit gar keinen Tempel vor sich hatte, sondern eine Moschee; man sah, dass die Menschen, die in dem Bauwerk und in seiner Umgebung lebten, nicht allesamt Uiguren aus den westlichen Teilen des Reichs waren, sondern dass auch viele fremde Teufel darunter waren – Javaner, Malaien, Malayalis und »böse« Araber.

    Warum also wurden manche Ausländer hineingelassen und andere nicht? Stimmte es, dass nur bestimmte Ausländer wahrhaft außerhimmlische Wesen waren, die in der Enklave der Fabriken isoliert werden mussten? Das war die einzig plausible Erklärung, denn die Fankuai der Fabriken zeichneten sich unbestreitbar durch einen bestimmten Gesichtsschnitt und einen unverwechselbaren Charakter aus: Da waren »rotgesichtige« Fremde aus England, Leute von der »Blumenflagge« aus Amerika und noch etliche andere, aus Frankreich, Holland, Dänemark und so weiter.
    Doch unter all diesen Wesen am leichtesten zu erkennen war zweifellos der kleine, aber florierende Stamm »guter« Ausländer – die Parsen aus Bombay. Wie kam es, dass die »Guten« zu den Fankuai gezählt, also in einen Topf mit den Engländern und Amerikanern geworfen wurden? Das wusste niemand, denn am Aussehen konnte es nicht liegen. Zwar hatten manche von den »Guten« Gesichter, die nicht weniger rosig waren als die der Leute von der Blumenflagge, aber andere waren so dunkel wie die Laskaren, die auf dem Perlfluss koboldgleich auf der Saling saßen. Was die Kleidung anbetraf, so zogen sich die »Guten« ganz anders an als die Fankuai: Sie trugen wallende Gewänder und Turbane, ähnlich wie die »bösen« Araber, waren also anders gekleidet als die übrigen Fabrikbewohner, die in grotesk engen Beinkleidern und Westen herumstolzierten, die Taschen mit den Tüchern vollgestopft, in denen sie ihren Rotz aufbewahrten. Auch war nicht zu übersehen, dass die anderen Fankuai die »Guten« scheel ansahen, denn diese schlossen sie oft aus ihren Versammlungen und von Lustbarkeiten aus, und ihre Fabrik war die kleinste. Aber auch sie waren schließlich Kaufleute, sie wollten Profite machen und waren dafür bereit, ein Fankuai-Leben zu führen und wie Zugvögel zwischen ihrem Zuhause in Bombay, ihren Sommerwohnungen
in Macao und ihren Winterquartieren in Kanton zu wechseln, wo der Anblick der ummauerten Stadt nicht die geringste der ihnen verbotenen Vergnügungen war, denn solange sie in China waren, mussten sie, wie die anderen Fankuai auch, nicht nur ohne Frauen, sondern in striktem Zölibat leben. Auf keinem anderen ihrer Erlasse bestanden die Behörden so nachdrücklich wie auf der

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