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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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er mit dieser Taktik nichts ausrichtete, sah er offenbar als Angriff auf seine Autorität, denn jedes Mal, wenn Nil und Ah Fatt einander bei ihrem beschwerlichen Gang über das schwankende Deck zu Hilfe kamen, prügelte er wie besessen auf sie ein. Mitten in einer solchen Prügelorgie hörte Nil den Subedar sagen: »Auf die Beine, Dreckskerl. Der Chhota Malum kommt hier lang. Steh auf, damit du seine Schuhe nicht beschmutzt.«
    Nil rappelte sich auf und sah in ein Gesicht, an das er sich
noch gut erinnerte. Ohne lange zu überlegen, sagte er: »Guten Tag, Mr. Reid.«
    Dass ein Sträfling es wagte, einen Offizier anzusprechen, erboste Singh dermaßen, dass er seinen Stock mit voller Wucht auf Nils Schulter niederkrachen ließ und Nil erneut in die Knie brach: »Du Schwesternficker wagst es, einem Sahib ins Auge zu schauen?«
    »Halt!« Zachary fiel dem Subedar in den Arm. »Lassen Sie das.«
    Das brachte den Subedar so auf, dass es einen Moment lang so schien, als wollte er auch Zachary eins überziehen. Doch dann besann er sich und trat einen Schritt zurück.
    Nil hatte sich unterdessen erhoben und wischte sich die Hände ab. »Ich danke Ihnen, Mr. Reid«, sagte er. Und weil ihm nichts anderes einfiel, fügte er hinzu: »Geht es Ihnen gut?«
    Zachary musterte ihn stirnrunzelnd. »Wer sind Sie?«, fragte er. »Ich kenne die Stimme, aber ich muss gestehen, ich …«
    »Mein Name ist Nil Rattan Halder. Offenbar ist Ihnen entfallen, Mr. Reid, dass Sie vor etwa einem halben Jahr bei mir auf meinem – damals noch meinem – Badgero zum Dinner waren.« Es war seit vielen Monaten das erste Mal, dass Nil mit jemandem aus der Außenwelt sprach, und es war ein so erhebendes Gefühl, dass er sich beinahe vorstellen konnte, er säße wieder in seinem Spiegelsaal. »Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, wurden Entensuppe und Brathuhn gereicht. Verzeihen Sie mir, dass ich mich so genau erinnere, aber Kulinarisches geht mir in letzter Zeit oft durch den Sinn.«
    »Ja, natürlich!«, rief Zachary plötzlich. »Sie sind der Roger, stimmt’s? Der Raja von …«
    »Ihre Erinnerung trügt Sie nicht, Sir«, sagte Nil mit einer leichten Verbeugung. »Ja, ich war in der Tat einmal der Raja
von Raskhali. Wie Sie sehen, lebe ich inzwischen in bescheideneren Verhältnissen.«
    »Ich hatte keine Ahnung, dass Sie hier an Bord sind.«
    »Auch ich war mir Ihrer Gegenwart auf diesem Schiff nicht bewusst«, sagte Nil mit einem ironischen Lächeln. »Sonst hätte ich Ihnen natürlich meine Karte geschickt. Irgendwie hatte ich mir vorgestellt, Sie seien auf Ihre Ländereien zurückgekehrt.«
    »Meine Ländereien?«
    »Ja. Sagten Sie nicht, Sie seien mit Lord Baltimore verwandt? Oder habe ich mir das nur eingebildet?« Nil war erstaunt, wie leicht und vergnüglich es war, wieder den versnobten Tonfall seines früheren Lebens anzunehmen. Derlei Belustigungen waren ihm ziemlich banal erschienen, als sie noch unbegrenzt zur Verfügung standen, doch jetzt kamen sie ihm vor wie der Sinn des Lebens schlechthin.
    Zachary lächelte. »Ich glaube, da haben Sie etwas Falsches in Erinnerung. Ich bin kein kleiner Lord, und ich besitze keine Ländereien.«
    »Zumindest insoweit«, sagte Nil, »sind wir Schicksalsgenossen. Meine derzeitigen Besitztümer beschränken sich auf einen Toiletteneimer und ein paar verrostete Ketten.«
    Zachary machte eine fragende Geste, während er Nil vom tätowierten Kopf bis zum unbeschuhten Fuß musterte. »Aber wie ist das möglich?«
    »Das ist eine längere Geschichte, Mr. Reid«, sagte Nil. »Ich sage nur so viel: Meine Ländereien sind in den Besitz Ihres Brotherrn, Mr. Burnham, übergegangen. Dank einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs.«
    Zachary piff durch die Zähne. »Das tut mir leid …«
    »Ich bin nur einer der vielen, die das Schicksal genarrt hat, Mr. Reid.« Mit einem schuldbewussten Zucken bemerkte er, dass Ah Fatt stumm neben ihm stand. »Verzeihen Sie,
Mr. Reid. Ich habe Ihnen meinen Freund und Kollegen nicht vorgestellt, Mr. Framji Pestonji Moddie.«
    »Angenehm.« Zachary wollte ihm die Hand reichen, doch da stieß der Subedar, bis aufs Blut gereizt, Ah Fatt seinen Stock ins Kreuz. »Los jetzt! Weiter mit euch.«
    »Es hat mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen, Mr. Reid«, sagte Nil unter den Schlägen des Subedars.
    »Ganz meinerseits …«
    Wie sich zeigte, führte diese Begegnung zu nichts Erfreulichem, weder für Zachary noch für die Sträflinge. Nil trug sie einen Schlag ins Gesicht ein. »Denkst

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