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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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du, du kannst mich mit zwei Wörtern Angrezi beeindrucken? Ich werd dir auf Ingilis den Marsch blasen …«
    Und Zachary wurde zu Mr. Crowle zitiert: »Was höre ich da von einem Plausch mit den Gefangenen?«
    »Ich kenne einen der beiden von früher«, sagte Zachary. »Was hätte ich machen sollen? So tun, als gäbe es ihn nicht?«
    »Genau«, erwiderte Mr. Crowle. »So tun, als ob’s ihn nicht gibt. Sie haben nichts mit den Sträflingen und den Kulis zu bequatschen. Das kann der Subedar nicht leiden. Sie kann er, ehrlich gesagt, auch nicht leiden. Wenn Sie das noch mal machen, gibt’s Ärger. Lassen Sie sich das gesagt sein, Grünschnabel.«

    Die Begegnung zwischen Zachary und den Gefangenen hatte noch jemand mitbekommen – jemand, bei dem sie einen tieferen Eindruck als bei irgendwem sonst hinterließ: Babu Nob Kissin Pander, der an dem Morgen mit einem mächtigen prophetischen Grollen in seinen Eingeweiden aufgewacht war. Wie immer hatte er diesen Symptomen größte Aufmerksamkeit gewidmet und war zu dem Schluss gekommen, dass die Krämpfe zu stark waren, als dass sie allein von den Bewegungen des Schoners hätten herrühren können. Sie glichen eher
den Erschütterungen, die ein starkes Erdbeben oder einen Vulkanausbruch ankündigen.
    Im Lauf des Tages hatte sich dieses ahnungsvolle Gefühl stetig verstärkt, was den Gumashta schließlich dazu bewog, sich aufs Vorschiff zu begeben, wo er sich ganz vorn am Bug aufbaute und den Wind seine wallenden Gewänder bauschen ließ. Er schaute auf das silbrige Wasser des immer breiter werdenden Flusses, und die zunehmende Spannung rumorte immer stärker in seinem Bauch, sodass er gezwungen war, die Beine zu überkreuzen, um die drohende Entladung zu verhindern. Und während er sich so drehte und wand, erblickte er die beiden Gefangenen, die von Subedar Bhairo Singh auf dem Deck herumgeführt wurden.
    Das Gesicht des ehemaligen Rajas war Babu Nob Kissin nicht unbekannt, er hatte es in Kalkutta mehrmals durch das Fenster des Raskhali-Zweispänners erblickt. Einmal, als die Kutsche an ihm vorbeidonnerte, hatte der Gumashta vor Schreck den Halt verloren und war rücklings zu Boden gestürzt; er konnte sich noch gut an das verächtlich-amüsierte Lächeln erinnern, mit dem Nil ihn, den hilflos in einer Dreckpfütze Liegenden, bedacht hatte. Doch das blasse, distinguierte Antlitz seiner Erinnerung, mit dem Rosenknospenmund und den weltmüden Augen, besaß keinerlei Ähnlichkeit mit dem abgezehrten, dunklen Gesicht, das er jetzt vor sich sah. Hätte Babu Nob Kissin nicht gewusst, dass der entehrte Raja einer der beiden Gefangenen auf der Ibis war, er hätte nicht geglaubt, dass es derselbe Mann war, so vollkommen hatte er sich verändert, nicht nur in seiner äußeren Erscheinung, sondern auch in seinem Betragen, das nun genauso wach und vorsichtig war wie seinerzeit schlaff und gelangweilt. Es entbehrte nicht eines gewissen Reizes, sich vorzustellen, dass er, Babu Nob Kissin Pander, eine Rolle bei der Demütigung dieses stolzen
und arroganten Aristokraten gespielt, dass er diesem verweichlichten Lüstling und Lebemann Entbehrungen auferlegt hatte, die er sich in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte ausmalen können. In gewisser Weise war es ein Hebammendienst bei der Geburt einer neuen Existenz gewesen – und kaum war ihm dieser Gedanke durch den Kopf gegangen, da wallte in ihm ein nie gekanntes Gefühl auf, dessen Quelle einzig und allein Taramony sein konnte. Woraus sonst hätte dieser machtvolle Strom von Mitleid und Fürsorge entspringen sollen, der ihn beim Anblick von Nils verschmiertem Gesicht und seinen mit Ketten gefesselten Gliedmaßen erfasste? Wer sonst hätte für den Ausbruch mütterlicher Zärtlichkeit in seinem Busen verantwortlich sein können, in dem Augenblick, als er sah, dass der Gefangene wie ein Zugtier über das Deck getrieben wurde? Er hatte schon immer die Vermutung gehegt, dass Taramonys Kinderlosigkeit der große Kummer ihres Lebens gewesen war. Das bestätigte nun der Wirbelsturm der Emotionen, der in seinem Inneren entfacht wurde – die instinktive Sehnsucht, den Gefangenen in die Arme zu schließen, um ihn vor jedem Schmerz zu beschützen: Es war, als hätte Taramony in Nil den mittlerweile erwachsenen Sohn erkannt, den sie ihrem Mann, Babu Nob Kissins Onkel, nicht hatte schenken können.
    So übermächtig waren die mütterlichen Regungen des Gumashtas, dass er, hätte ihn die Furcht vor einem peinlichen Malheur nicht gezwungen, seine

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