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Das mohnrote Meer - Roman

Das mohnrote Meer - Roman

Titel: Das mohnrote Meer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amitav Ghosh
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Vorrichtung bewährte sich zunächst bestens. Babu Nob Kissin überquerte gemessenen Schrittes das Hauptdeck – sein Gang war durchaus würdig, wenn auch ein wenig oberlastig. Doch das änderte sich schlagartig, als er an der Tür der Zelle angelangt war. Es war für einen Mann seines Umfangs nicht leicht, durch eine niedrige, enge Tür zu treten, und bei dem dazu notwendigen Drehen und Bücken entwickelten einige seiner Mitbringsel ein Eigenleben, sodass der Gumashta seinen wogenden Busen beidhändig stützen musste. Da die beiden Silahdars vor der Tür Wache hielten, konnte er sich seiner Bürde auch nicht entledigen, als er endlich in der Zelle war: Er saß mit überkreuzten Beinen da, ähnlich einer Amme, die ihre zwei entzündeten, prall gefüllten Brüste festhalten muss.
    Nil und Ah Fatt betrachteten diese gewichtige Erscheinung in ehrfürchtigem Schweigen. Die Sträflinge mussten sich noch von ihrem Zusammenstoß mit Mr. Crowle erholen. Obwohl der Vorfall auf dem Backdeck nur ein paar Minuten gedauert hatte, hatte er sie mit der Gewalt einer Flutwelle gepackt, das zerbrechliche Gerüst ihrer Freundschaft weggerissen und ein Chaos nicht nur der Scham und Erniedrigung, sondern auch tiefster Niedergeschlagenheit hinterlassen. Wie anfangs im Gefängnis von Alipur herrschte zwischen ihnen absolute Stille. Diese Sprachlosigkeit hatte sich in der kurzen Zeit bereits so verfestigt, dass Nil beim besten Willen nicht wusste, was er sagen sollte, als er jetzt über einen Haufen unbearbeitetes Werg hinweg Babu Nob Kissin ansah.
    »Ihre Unterkunft prüfen ich bin hier.«
    Diese Erklärung gab Babu Nob Kissin mit sehr lauter Stimme und auf Englisch ab, um den amtlichen Charakter seines
Besuchs zu unterstreichen. »Insoweit alle Unregelmäßigkeiten werden festgestellt.«
    Da die sprachlosen Sträflinge keine Antwort gaben, ergriff der Gumashta die Gelegenheit und unterzog das übel riechende Quartier im flackernden Licht seiner Petroleumlampe einer eingehenden Inspektion. Sein Auge fiel sofort auf den Toiletteneimer, und für ein paar Augenblicke trat sein spirituelles Anliegen hinter einem irdischeren Interesse zurück.
    »In dieses Gefäß Sie urinieren und machen Latrine?«
    Zum ersten Mal seit mehreren Tagen wechselten Nil und Ah Fatt einen Blick. »Ja«, sagte Nil. »Das ist korrekt.«
    Die hervortretenden Augen des Gumashtas wurden noch größer, während er seine Folgerungen aus dieser Mitteilung zog. »Beide also sind anwesend während Erleichterung?«
    »Ja«, sagte Nil, »leider bleibt uns keine andere Wahl.«
    Der Gumashta schauderte bei dem Gedanken, welche Verheerungen dieser Umstand in so empfindlichen Eingeweiden wie seinen anrichten würde. »Also Verhaltungen müssen sein sehr schwer und häufig?«
    Nil zuckte die Achseln. »Wir tragen unser Los, so gut wir können.«
    Der Gumashta sah sich stirnrunzelnd um. »Bei Jupiter!«, sagte er. »So wenig Räumlichkeit hier, ich nicht weiß, wie Sie vermeiden ständige Zusammenstöße.«
    Darauf erhielt er keine Antwort, und er erwartete auch keine. Er schnupperte ein wenig und glaubte zu spüren, dass Ma Taramony bemüht war, sich bemerkbar zu machen – denn gewiss konnte nur die Nase einer Mutter den Geruch der Ausscheidungen ihres Kindes in einen fast angenehmen Duft verwandeln. Wie um zu bestätigen, wie dringlich sein inneres Wesen nach Aufmerksamkeit verlangte, sprang einer der Granatäpfel aus seinem Versteck und landete auf dem Werghaufen.
Besorgt blickte der Gumashta zur Tür, aber die beiden Silahdars unterhielten sich und hatten von dem plötzlichen Sprung der Frucht nichts bemerkt.
    »Hier, schnell, nehmen«, sagte der Gumashta und leerte seinen Schatz an Früchten, Eiern, parāthās und braunem Zucker in Nils Hände. »Alles für Sie – äußerst schmackhaft und gut für Gesundheit. Auch Verdauung werden gefördert.«
    In seiner Überraschung verfiel Nil ins Bengali: »Sie sind zu großzügig …«
    Der Gumashta brachte ihn mit einer abrupten Geste zum Schweigen. Er wies verschwörerisch auf die Silahdars und sagte: »Bitte vermeiden einheimische Sprachen. Wachen sind große Störenfriede, machen immer Ärger. Besser, sie nicht hören. Keusches Englisch ausreichend.«
    »Wie Sie wünschen.«
    »Hurtiges Verbergen der Esswaren ebenfalls ratsam.«
    »Ja, natürlich.«
    Nil schob die Sachen rasch hinter sich – gerade noch rechtzeitig, denn kaum waren die Vorräte verschwunden, da steckte einer der Silahdars den Kopf in die Tür und drängte den

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