Das mohnrote Meer - Roman
Steward, der nebenbei Schneider war und sich mit Nähen und Flicken etwas dazuverdiente, und einen Schiffsjungen, der Friseur gelernt hatte und der Mannschaft als Barbier diente. Unter Serang Alis Anleitung ging das Team an die Arbeit, sichtete Zacharys Kisten und Säcke, suchte Kleider aus, maß, faltete, schnippelte und nähte.
Während der Schneider-Steward und seine Handlanger sich mit Hosenbeinen und Manschetten beschäftigten, führte der Barbier Zachary zu den leeseitigen Speigatten und schrubbte ihn mithilfe von zwei Schiffsjungen blitzsauber. Zachary ließ die Prozedur über sich ergehen, bis der Barbier schließlich eine dunkle, parfümierte Flüssigkeit hervorzog und Anstalten machte, sie ihm übers Haar zu schütten. »He! Was’n das für’n Zeug?«
»Schampu«, sagte der Barbier und rieb die Hände aneinander. »Schampu?« Davon hatte Zachary noch nie gehört, doch so unangenehm es ihm auch war, damit in Berührung zu kommen, ließ er es sich doch gefallen, und zu seiner Überraschung bereute er es hinterher nicht, denn sein Kopf hatte sich noch nie so leicht angefühlt, sein Haar noch nie so gut gerochen.
Nach zwei Stunden erkannte sich Zachary im Spiegel kaum wieder: Vor ihm stand ein vornehmer Herr in einem weißen Leinenhemd, Reithosen und einem zweireihigen Sommer-Paletot, mit einem ordentlich gebundenen weißen Tuch um den Hals. Sein Haar war geschnitten, gebürstet und im Nacken mit einem blauen Band zusammengefasst, und darüber trug er einen glänzenden schwarzen Hut. Soweit Zachary sehen konnte, war seine Ausstattung komplett, aber Serang Ali war immer noch nicht zufrieden: »Uhr nix hab? Kling-klang?«
»Was?«
»Uhr.« Der Serang griff in seine Weste, als wollte er an einer Uhrkette ziehen.
Über die Vorstellung, er könne sich eine Uhr leisten, musste Zachary lachen. »Nein«, sagte er. »Ich hab keine Uhr.«
»Machnix. Malum Zikri wart Moment.«
Der Serang schickte die anderen Laskaren aus der Kabine und verschwand für zehn Minuten. Als er wiederkam, hatte er etwas in den Falten seines Sarongs versteckt. Er schloss die
Tür hinter sich, löste den Knoten an seiner Taille und überreichte Zachary eine silbern glänzende Uhr.
»Heiliger Bimbam!« Zachary blieb der Mund offen, als er die Taschenuhr betrachtete, die wie eine glitzernde Auster auf seiner Handfläche lag: Ober- und Unterseite waren mit filigranen Mustern verziert, und die Kette bestand aus drei fein ziselierten Silbersträngen. Er klappte den Deckel auf und starrte fasziniert auf die laufenden Zeiger und die klickenden Zahnrädchen.
»Die ist wunderschön.« Auf der Innenseite des Deckels war in kleinen Buchstaben ein Name eingraviert. Er las laut: »›Adam T. Danby‹. Wer war das? Hast du ihn gekannt, Serang Ali?«
Der Serang zögerte einen Moment und schüttelte dann den Kopf: »Nein. Nix weiß. Uhr kauf in Leihe, in Kebtaun. Jetz Malum Zikri.«
»Das kann ich nicht annehmen, Serang Ali.«
»Is gut schon, Malum Zikri«, sagte der Serang und lächelte, was er nur selten tat. »Is gut.«
Zachary war gerührt. »Ich danke dir, Serang Ali. So was Schönes hat mir noch keiner geschenkt.« Er stellte sich vor den Spiegel, die Uhr in der Hand, den Hut auf dem Kopf, und brach in Lachen aus. »He! Die machen mich glatt zum Bürgermeister.«
Serang Ali nickte. »Malum Zikri eins-a pakka Sahib jetz. Fein Pinkel. Wenn Pflanzer-Mann will fang, muss maulhau.«
»Maulhau?«, fragte Zachary. »Was soll das heißen?«
»Muss schrei laut: ›Pflanzer-Mann, geh muschilek Schwester. Ich eins-a pakka Sahib, kannix fang.‹ Stek Pistol in Tasch; wenn Mann will schanghai, peng-peng.«
Zachary steckte eine Pistole ein und ging nervös von Bord – doch kaum hatte er einen Fuß auf den Kai gesetzt, stellte er
fest, dass er mit ungewohnter Ehrerbietigkeit behandelt wurde. Er ging zu einem Stall, um ein Pferd zu mieten, und der französische Besitzer verbeugte sich, sprach ihn mit »Milord« an und überschlug sich förmlich vor Diensteifer. Als er hinausritt, lief ein Stallknecht neben ihm her, um ihm den Weg zu zeigen.
Die Stadt war klein, nur ein paar Häuserblocks, die schon bald in ein Gewirr armseliger Hütten ausliefen; weiter vorn wand sich der Weg durch dichte Wäldchen und hohe Zuckerrohrdickichte. Die ringsum ansteigenden Hügel und Felsen hatten seltsam zerklüftete Formen; sie hockten in der Ebene wie ein Bestiarium gargantuesker Tiere, die bei dem Versuch erstarrt waren, sich dem Griff der Erde zu entwinden. Von Zeit
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