Das Molekular-Café
wird
jeder Mensch für die zufällige oder vorbedachte Tötung
einer Ameise augenblicklich und gnadenlos mit dem Tode bestraft. Das
sei Gesetz. Erstes und oberstes Gesetz. Zum zweiten Gesetz erkläre
ich die absolute Immunität des Zdenek Pištora, Doktor der
techminischen Wissenschaften. Das dritte Gesetz betrifft unsere
Zusammenarbeit. Mein Ameisenvolk benötigt gewaltige Mengen an
Metall, Plasten, Baumaterialien, synthetischem Harz, Erdöl, Kohle,
Zucker, Getreide, Obst und Fleisch. Mit diesen und anderen
Nahrungsmitteln habt ihr Menschen mein Volk anstandslos zu versorgen.
Seid klug, seid gehorsam und fügt euch, dann gebe ich euch die
Möglichkeit, still, unmerklich und mit Würde von diesem
Planeten zu verschwinden! Mein Aufruf geht über alle Sender der
Welt, deshalb treten die eben erwähnten Gesetze, Befehle und
Beschlüsse augenblicklich in Kraft. Hört mich morgen wieder
zur selben Stunde!«
Die metallische Stimme verstummte. Die Lautsprecher
rauschten noch ein wenig und wurden abgeschaltet. In der Aula des PITM
herrschte Grabesstille.
Kriminell
Als erster fand der noch immer am Rednerpult
stehende Professor Kracmer die Sprache wieder. Er warf die Arme in die
Luft und schrie wie besessen los: »Nie, nie, nie und nimmer
werden wir uns so einer niederträchtigen Maschine unterwerfen! Sei
verflucht, falscher Kyber, der du uns an die Ameisen verkaufst! Wir
werden kämpfen…«
Er kam nicht zu Ende. Sein Gesicht verzerrte sich,
sein Schnurrbart begann zu zittern, und plötzlich sackte er wie
vom Blitz getroffen auf das Rednerpult. Ein paar Herren aus dem
Präsidium stürzten hinzu und machten Wiederbelebungsversuche,
aber der Professor war tot. Panik erfaßte die Versammelten. Einer
nach dem andern sprang auf und machte sich schweigend davon.
Inmitten der allgemeinen Verwirrung bestieg Zdenek
Pištora das Rednerpult. Die Aula war bereits halb leer. Aber
Zdenek schien nichts davon zu merken. Sein Gesicht war kreidebleich,
die Augen flackerten, und als er mit dumpfer Stimme zu sprechen begann,
waren seine abgehackten Sätze kaum noch zu verstehen.
»Das war ich, ich allein!« lallte er,
nach Luft schnappend. »Verzeiht, Kollegen. Das habe ich getan!
Nicht, weil ich der Konstrukteur bin – nicht deshalb. Aus dem
Safe hätte sie ja niemals ausbrechen können! Trotzdem bin ich
schuld! Ich habe ihr zur Flucht verholfen! Darum hat sie mich auch
für immun erklärt! Verzeiht, Kollegen!«
»Was haben Sie getan, Herr Pištora?
Drücken Sie sich deutlich aus!« schrie der Direktor, der den
Sinn der vorgetragenen Worte dunkel zu ahnen begann.
Die Fluchtbewegung aus dem Saal brach mit einem
Schlage ab. Die Übriggebliebenen drehten die Köpfe zum
Rednerpult und starrten Pištora an. Der aber schneuzte sich eine
Minute lang die Nase, schluchzte, wischte sich Tränen der Reue vom
Gesicht und begann zu berichten, wie er am Vorabend die Kyberoformica
in der Glasflasche mit nach Hause genommen, um sie seiner Braut zu
zeigen, und wie er nachts plötzlich entdeckt hatte, daß die
Flasche leer war. Nahezu schluchzend brachte Pištora seine
Beichte zu Ende: »Ich bin schuld an der ganzen Katastrophe!
Hätte ich sie nicht mitgenommen, wäre sie mit den Ameisen nie
in Berührung gekommen, und alles wäre gut! Verzeiht,
Kollegen, verzeiht!«
»Herr Pištora!« donnerte der
Direktor des PITM, von schrecklichem Zorn erfaßt. »Sie sind
ein Krimineller, ein ganz gemeiner Schädling, ein
Mörder!«
Bei den letzten Worten griff sich der Direktor
plötzlich ans Herz, wurde schrecklich blaß und fiel mit dem
Gesicht auf den Tisch des Präsidiums.
Die Anwesenden rührten keinen Finger. Allen
war klar, daß der arme Direktor nach dem zweiten Gesetz der
Kyberoformica wegen Beleidigung des gewissermaßen
heiliggesprochenen Pištora mit »augenblicklichem und
gnadenlosem Tod« bestraft worden war.
Entsetzen erfaßte den gesamten
Wissenschaftlichen Rat sowie die restlichen Mitarbeiter des PITM. Nur
der Oberst der Miliz bewahrte Haltung. Zdenek verließ das
Rednerpult und trat zu ihm.
»Verhaften Sie mich, Genosse Oberst! Ich bin ein
Krimineller und gehöre ins Gefängnis!«
»Später, später! Sie sind jetzt nicht so wichtig!« sagte der
Oberst und wandte sich von ihm ab; er steckte sein Notizbuch
ein und ging eilig hinaus.
Auf dem Tisch des Präsidiums lag das Reagenzglas voll
Ameisen. Jemand öffnete es und ließ die Gefangenen frei. Die Ameisen schwirrten lustig auf dem Tisch herum,
zwischen Papieren und Füllhaltern.
Die Leute
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