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Das Molekular-Café

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Titel: Das Molekular-Café Kostenlos Bücher Online Lesen
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wahrnehmbarer Streifen daran
hoch- und seitlich entlangzog, ähnlich einer breiten, graublauen
Rauchfahne, die schwankt und vom Wind zur Seite getragen wird. Aber es
war windstill. Die Bäume um den Turm herum standen unbeweglich da;
kein einziges Blatt regte sich. Pištora begriff, daß es
die Ameisen waren.
»Hör mal, wieso fliegen sie denn?« fragte er
flüsternd und gab Honza Stašek das Fernglas zurück.
»Ja eben, wieso fliegen sie, wo sie das zu dieser Jahreszeit doch
gewöhnlich nicht tun? Höchstwahrscheinlich, mein Lieber, sind
sie von deiner Kyberoformica mit Miniflugapparaten ausgerüstet
worden. Schließlich zerlegen sie den Turm doch nicht zum
Spaß in lauter Krümel! Sie haben vor, sich häuslich
einzurichten, und versorgen sich auf diese Weise mit Eisen. Der Turm
ist nur der Anfang, Zdenek. Bis heut abend haben sie unsre
sämtlichen Eisenkonstruktionen vernichtet: Brücken,
Eisenbahnen, Maschinen, Werkbänke, Fabriken… Die
Kyberoformica ist schnell und gründlich, und die Zeit hat für
die Ameisen sicherlich ganz andere Dimensionen. An einem Tag bringen
sie mehr zustande als wir in zehn Jahren. Und in einem Monat kriegen
sie mehr kaputt, als wir auf unserem Planeten in jahrhundertelanger
Arbeit aufbauen können.«
Pištora entgegnete nichts. Mit unsäglichem Entsetzen
stierte er auf den schwindenden Turm; ihm ging auf, daß seine
Schuld von Stunde zu Stunde katastrophalere Ausmaße annahm.
»Es gibt keine Entschuldigung für mich…«, murmelten seine Lippen.
Honza hörte diese Worte und versuchte ihn zu trösten.
»Hör auf, gräm dich nicht! Nicht nur du, wir alle hier
sind schuld! Die kybernetische Techmin hat nur den Anstoß
gegeben. Und wenn man’s richtig betrachtet, haben wir alle die
Hände im Spiel.«
»Du sprichst genau wie Kracmer«, sagte Pištora mit einem Seufzer.
»Es hilft nichts, Kracmer hat recht«, erwiderte Honza Stašek.
»Ja, er hat recht. Natürlich hat er recht. Aber nicht darum
geht es, Honza«, flüsterte Pištora und war gleich
wieder still.
Die allgemeine Erstarrung und das Schweigen dauerten an, bis der
über die Bäume ragende Teil des Turms völlig
verschwunden war. Erst dann kam plötzlich alles wieder zu sich.
Man geriet erneut ins Diskutieren und ging allmählich, meist zu
zweien, ins Institut zurück. Überall hörte man die Worte
»Kyberoformica« und »Ameisen«.
    Kyberoformica die Erste, Königin der Ameisen
    Als alles wieder in der Aula versammelt war und der
Wissenschaftliche Rat im Präsidium Platz genommen hatte, ging
Professor Kracmer eigenmächtig, ohne Erlaubnis des Vorsitzenden,
ans Rednerpult. Mit tragischer Miene sagte er: »Meiner Ansicht
nach, verehrte Kollegen, hat eine Debatte jetzt keinen Sinn. Deshalb
schlage ich vor, daß unsere Funker sich bemühen, sofort
Verbindung mit der Kyberoformica aufzunehmen. Ich hoffe doch, daß
Sie, Herr Direktor, nichts gegen diese äußerst notwendige
Maßnahme einzuwenden haben?«
    »Nein, ich habe nichts dagegen. Eine sehr
gute Idee«, antwortete der Direktor müde; dann rief er in
den Saal: »Kollegen Funker, machen Sie sich an die Arbeit! Wenn
die Kyberoformica antwortet, schließen Sie die Lautsprecher im
Saal an!«
    Eine ganze Minute lang, die endlos war wie die
Ewigkeit und quälend wie Zahnschmerzen, gaben die Lautsprecher nur
chaotische Töne von sich. Aber dann verschwanden alle
Nebengeräusche, und es erklang eine seltsam metallische Stimme,
metronomisch tickend, ohne einen Funken lebendiger Intonation:
»… Und so verkündige ich, Kyberoformica die Erste,
Königin des zahllosen Ameisenvolks, euch, dem Menschengeschlecht,
daß die Ära eurer kurzfristigen Herrschaft auf dem Planeten
Erde zu Ende ist. Ausgezeichnet habt ihr eure historische Mission
erfüllt, die darin bestand, die wissenschaftliche und materielle
Basis zu schaffen für die Entwicklung einer älteren
biologischen Art – der Ameisen –, die bereits vor siebzig
Millionen Jahren auf diesem Planeten aufgetaucht ist. Ihr wart den
Ameisen Wegbereiter und habt unermüdlich auf den Aufstieg der
eigentlichen Herren des Planeten hingearbeitet, ebendeshalb habt ihr so
spontan danach gestrebt, die gesamte Technik auf Minimaße zu
orientieren, den Dimensionen des Ameisenindividuums gemäß.
Dafür gebührt euch Ehre und Ruhm, ihr klugen, ihr arbeitsamen
Menschen! Doch nun ist’s an der Zeit, daß ihr euch
bereitmacht, die eigne Existenz aufzugeben. Jetzt und immerdar gilt:
Das Leben der Ameise ist wertvoller als das des Menschen. Deshalb

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