Das Molekular-Café
sagte meine Schwiegermutter,
»ich habe schon früher so etwas gehört.«
»Robbi«, sagte ich, »es geht nicht darum, eine
Größe arithmetisch durch drei zu teilen, sondern darum, eine
geometrische Figur in drei gleich große Flächen zu zerlegen.
Die Torte ist rund, und wenn Sie den Kreisumfang in drei Teile teilen
und von den Teilungspunkten aus Radien ziehen, ist die Torte in drei
gleich große Stücke geteilt.«
»Mumpitz!« antwortete er sichtlich gereizt. »Um den
Kreisumfang in drei Teile zu teilen, muß ich seine Länge
kennen, die sich aus der Multiplikation des Durchmessers mit der
irrationalen Zahl ›Pi‹ ergibt. Die Aufgabe ist
unlösbar, denn sie läuft auf eine Variante der Kreisquadratur
hinaus.«
»Völlig richtig!« unterstützte ihn meine
Schwiegermutter. »Das haben wir schon im Gymnasium gelernt. Unser
Mathematiklehrer, in den wir alle ein bißchen verschossen waren,
sagte einmal, als er in die Klasse kam…«
»Entschuldige, daß ich dich unterbreche«, mischte ich
mich ein. »Es gibt mehrere Methoden, einen Kreisumfang in drei
Teile zu teilen, Robbi, und wenn Sie mitkommen in die Küche, zeige
ich Ihnen, wie es gemacht wird.«
»Ich kann nicht dulden, daß mich ein Wesen belehrt, dessen
Denkprozesse in so begrenztem Tempo ablaufen«, erwiderte er
herausfordernd.
Das hielt nicht mal meine Frau aus. Sie kann es nicht leiden, wenn
Außenstehende meine geistigen Fähigkeiten in Zweifel ziehen.
»Schämen Sie sich gar nicht, Robbi?«
»Ich höre nichts, ich höre nichts!« ratterte, er
los und schaltete ostentativ seine akustische Wahrnehmungsanlage aus.
Unser erster Konflikt begann mit einer Kleinigkeit. Eines Tages erzählte ich beim Essen einen Witz.
»Auf einem Dampfer treffen sich zwei Geschäftsreisende. ›Wo fahren Sie hin?‹ fragt der eine.
›Nach Odessa.‹
›Sie sagen, daß Sie nach Odessa fahren, damit ich annehme,
daß Sie nicht nach Odessa fahren, dabei fahren Sie
tatsächlich nach Odessa. Warum lügen Sie?‹«
Der Witz wurde beifällig aufgenommen.
»Wiederholen Sie die Ausgangssituation«, tönte Robbis
Stimme. Einen Witz demselben Zuhörerkreis zweimal zu
erzählen ist nicht sehr angenehm, doch widerstrebend tat
ich’s.
Robbi schwieg. Ich wußte, daß er in einer Minute etwa
tausend logische Operationen vollziehen kann, welch
titanische Arbeit mußte er während dieser längeren Pause
leisten!
»Die Aufgabe ist absurd«, brach er schließlich das
Schweigen. »Wenn er tatsächlich nach Odessa fährt und sagt,
daß er nach Odessa fährt, lügt er nicht.«
»Richtig, Robbi. Aber grade das Absurde macht doch den
Witz so komisch.«
»Ist alles Absurde komisch?«
»Nein, nicht alles. Hier aber ist eine Situation entstanden,
deren Absurdität komisch wirkt.«
»Gibt es einen Algorithmus für das Finden solcher
Situationen?«
»Ich weiß es nicht, Robbi. Es existieren Unmengen
komischer Witze, aber diesen Maßstab hat noch niemand an
sie gelegt.«
»Aha.«
In der Nacht wachte ich davon auf, daß mich jemand bei
den Schultern faßte und hochhob. Vor mir stand Robbi. »Was ist?« fragte ich und rieb mir die Augen.
»A sagt, X wäre gleich Y, B sagt, X wäre nicht gleich Y,
denn Y sei gleich X. Läuft Ihr Witz darauf hinaus?«
»Weiß ich nicht, Robbi. Stören Sie mich um Gottes
willen
nicht mit Ihren Algorithmen beim Schlafen.«
»Es gibt keinen Gott«, sagte Robbi und ging in seine Ecke.
Als wir uns am nächsten Tag zu Tisch setzten, verkündete
Robbi plötzlich: »Ich muß einen Witz erzählen.«
»Schießen Sie los, Robbi«, stimmte ich zu.
»Ein Kunde kommt zum Verkäufer und fragt ihn, was eine
bestimmte Ware kostet. Der Verkäufer antwortet, die Ware
koste einen Rubel. Da sagt der Kunde: ›Sie nennen diesen
Preis, damit ich glaube, der Preis betrüge nicht einen Rubel.
Dabei beträgt der Preis tatsächlich einen Rubel. Warum lügen
Sie?‹«
»Ein sehr hübscher Witz«, sagte meine Schwiegermutter,
»den muß ich mir merken.«
»Warum lachen Sie nicht?« fragte mich Robbi.
»Sehen Sie, Robbi«, sagte ich, »Ihr Witz ist nicht sehr
komisch. Die Situation ist nicht so, daß man darüber lachen
müßte.«
»Doch, der Witz ist komisch«, beharrte Robbi, »Sie müssen
lachen.«
»Wie kann ich lachen, wenn das nicht komisch ist?«
»Doch, es ist komisch! Ich bestehe darauf, daß Sie lachen!
Sie sind verpflichtet zu lachen! Ich verlange, daß Sie lachen,
denn es ist komisch! Ich fordere, ich empfehle, ich befehle
sofort, ungesäumt, augenblicklich zu lachen! Ha-ha-ha-haha!«
Robbi
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