Das Molekular-Café
Hausarbeit
verrichtet er widerwillig und schluderhaft. Er behandelt alles, was mit
seiner Person nichts zu tun hat, mit sichtlicher Geringschätzung
und spricht mit jedermann in gönnerhaftem Ton.
Meine Frau hat versucht, ihn für
Übersetzungen aus fremden Sprachen einzuspannen. Erstaunlich
leicht hat er das französisch-russische Wörterbuch auswendig
gelernt und verschlingt jetzt eine Unmenge Boulevardliteratur. Wenn man
ihn bittet, das Gelesene zu übersetzen, antwortet er
verächtlich: »Uninteressant. Lesen Sie selbst.«
Ich habe ihm Schachspielen beigebracht. Anfangs
ging alles glatt, aber dann muß er mit Hilfe einer logischen
Analyse festgestellt haben, daß Mogeln eine sicherere Methode zum
Gewinnen ist.
Er benutzt jede Gelegenheit, meine Figuren auf dem Brett unbemerkt zu verschieben.
Einmal merkte ich mitten in der Partie, daß mein König verschwunden war.
»Wo haben Sie meinen König hingetan, Robbi?«
»Sie waren schon beim dritten Zug matt, da habe ich ihn weggenommen«, erklärte er frech.
»Aber das ist theoretisch unmöglich. In den ersten drei
Zügen gibt es kein Matt. Stellen Sie meinen König zurück
auf seinen Platz.«
»Sie müssen erst noch spielen lernen«, sagte er und fegte die Figuren vom Brett.
In letzter Zeit hat er sein Interesse für Gedichte entdeckt.
Leider ist das Interesse einseitig. Stundenlang kann er die Klassiker
studieren, nur um einen schlechten Reim oder eine falsche Redewendung
herauszupicken. Gelingt ihm das, so erbebt die Wohnung von seinem
Gelächter.
Er wird von Tag zu Tag unausstehlicher.
Nur ein gewisses Anstandsgefühl hält mich davon ab, ihn zu
verschenken. Außerdem möchte ich meiner Schwiegermutter
keinen Kummer bereiten. Sie und Robbi empfinden große Sympathie
füreinander.
Ilja Warschawski
Der Konflikt
Für Stanislaw Lem zur Erinnerung an unsern Streit, der nie entschieden werden wird.
»Na? Wir haben geweint? Warum denn? Ist was passiert?« Marta nahm die Hand weg, mit der ihr Mann sie unters
Kinn gefaßt hatte, und ließ den Kopf hängen.
»Nichts ist passiert. Ich war bloß auf einmal traurig.« »Wegen Erik?«
»Was hat Erik damit zu tun? Er ist ein ideales Kind. Ein
würdiges Produkt maschineller Erziehung. Bei so einer
Kinderfrau wird er seine Eltern nie betrüben.«
»Schläft er schon?«
»Er hört wie immer vor dem Einschlafen noch Märchen. Ich
war vor zehn Minuten bei ihm. Er sitzt mit heißen Bäckchen
im Bett und macht seiner Kybella verliebte Augen. Mich
bemerkte er gar nicht, und als ich zu ihm trat, um ihm einen
Kuß zu geben, hob er abwehrend beide Händchen, ich solle
warten, bis das Märchen zu Ende sei. Seine Mutter, ja, die ist
keine Elektronenmaschine, die kann warten.«
»Und Kybella?«
»Die bezaubernde, kluge, kühle Kybella war wie immer der
Situation gewachsen. Du mußt deiner Mutter ein Gute-NachtKüßchen geben, Erik, hat sie gesagt, du bist durch
Blutsbande mit ihr verbunden, weißt du noch, was ich dir von
der Chromosomenteilung erzählt habe?«
»Warum ist Kybella dir dermaßen unsympathisch?« Eine Träne rollte aus Martas Auge.
»Ich kann nicht mehr, Laf, versteh doch! Ich habe es satt,
dauernd die Überlegenheit dieser vernünftigen Maschine zu
spüren. Es vergeht kein Tag, an dem sie mich nicht meine
Minderwertigkeit fühlen ließe. Tu etwas, ich flehe dich an!
Was brauchen diese verfluchten Maschinen einen so hohen
Intellekt? Können sie ihre Arbeit nicht ohne das leisten?« »Das ergibt sich ganz von selbst. Die Gesetze der
Selbstorganisierung sind so. Da geht alles ohne uns
vonstatten, es kommt zu individuellen Zügen und leider sogar
zu Genialität. Soll ich Kybella durch einen andern Automaten
ersetzen lassen?«
»Unmöglich, Erik liebt sie zu sehr. Tu lieber etwas, damit
sie ein bißchen dümmer wird. Es würde mir die Sache
erleichtern.«
»Das wäre ein Verbrechen. Du weißt doch, das Gesetz stellt
die denkenden Automaten den Menschen gleich.«
»Dann wirke wenigstens auf sie ein. Sie hat mir heute
schreckliche Dinge an den Kopf geworfen, und ich wußte
nicht, was ich ihr antworten sollte. Ich kann und kann die
Erniedrigung nicht mehr aushalten!«
»Still, sie kommt! Nimm dich in ihrer Gegenwart
zusammen!«
»Guten Tag, Herr!«
»Warum sagen Sie das, Kybella? Sie wissen doch ganz
genau, daß es die Anrede ›Herr‹ für Maschinen der höheren
Klasse nicht mehr gibt.«
»Ich dachte, es wäre Ihrer Frau angenehm. Sie betont immer
so gern den Unterschied zwischen der Krone der natürlichen
Schöpfung und der
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