Das Molekular-Café
»Wenn Sie so nett…«
Er ging hinter mir. Wir stellten uns auf einen Rollsteg und bewegten
uns vorwärts an halbkugelförmig gewölbten orangefarbenen
Wänden entlang. Ich zog meinen Gefährten am Arm, wir
mußten absteigen. Wir überquerten eine weite, verglaste
Galerie und gelangten ins Freie. Es war kühl und dunkel.
»Welche Nummer?« fragte ich. »Vier?«
»Der Pavillon? Ja.«
Vor einem Schlagbaum machten wir halt. Ein grüner Automat
strählte uns von der Seite mit einem Scheinwerfer an. Der
Schlagbaum ging in die Höhe. Mein Reisegefährte
überschritt die weiß phosphoreszierende Linie und entfernte
sich in Richtung der Neon-Vier, die auf einem niedrigen Gebäude
leuchtete.
Stanislaw Lem
Töte mich!
Pjotr verbrachte seine frühe Jugend
ähnlich wie viele andere Kinder. Bis zu seinem siebenten
Lebensjahr wohnte er bei seinen Großeltern in einem ausgedehnten
Naturschutzgebiet, dem Eurasischen Naturpark in den Vorbergen des
Pamir. Nur zwei Monate im Jahr verlebte er in dem alten Haus seiner
Eltern an der Weichsel. In der Schulzeit unternahm er zahlreiche Reisen
über die Meere und Kontinente der Erde; es waren Exkursionen im
Rahmen des Unterrichts in Geographie, Geologie und Geschichte,
verbunden mit dem Besuch der Museen und Sammlungen. Bergwanderungen,
Sommerfahrten auf den Flüssen, erste Raketenflüge mit den
Erziehern und Schulfreunden, selbständige physikalische und
chemische Experimente, die Besichtigung des Planetariums im Park der
Kinder zwischen Erde und Mond und schließlich ein
zweiwöchiger Aufenthalt im Observatorium auf der sechsten
kosmischen Station gestalteten die ersten Schuljahre abwechslungsreich.
Zugleich war dies die Zeit, in der er von
Entdeckungen, von unerhörten Abenteuern, von Kämpfen mit
gefährlichen Kräften und Mächten in fernen Ländern
und auf noch ferneren Planeten träumte.
Mit zunehmendem Alter wandelte sich sein Interesse
für die Erscheinungen der Welt in Kenntnis. Alles wurde
begreiflich und verständlich, die Kinderträume von einst
entwichen in irreale Sphären. Bereits damals beschäftigte er
sich mit den Grundlagen allgemeinen Wissens und gewann immer mehr die
Überzeugung, daß Geheimnisse, falls es überhaupt welche
gab, nur in den entlegensten Teilen des Weltalls verborgen sein
könnten. Als er sein siebzehntes Lebensjahr vollendet hatte,
besuchte er verschiedene technische Hochschulen, Institute,
Laboratorien und andere Forschungsstätten, um sich einen
Überblick über das riesige Gebiet menschlicher Tätigkeit
zu verschaffen und um jenes Teilgebiet zu finden, dem er sich für
immer widmen wollte. Er entschloß sich zum Studium der
Astronomie. Dann sattelte er um und trat in das Institut für
allgemeine und experimentelle Astronautik ein. Nach drei Jahren hatte
er den Vorbereitungslehrgang beendet. Nun begann die vier Jahre lange
Etappe selbständiger Forschungen. Damals erlebte er seinen ersten
Triumph – und seine erste Niederlage. Professor Dyaadik
erklärte nach der Überprüfung der Arbeitsergebnisse
seiner Schüler, daß Pjotrs Arbeit zu großen Hoffnungen
berechtigte. Diese Freude wurde ihm bald darauf vergällt: Er
unterlag im Kampf gegen eine unbekannte Macht, die er nicht auf einem
fernen Himmelskörper, sondern in sich selbst entdeckte.
Er lernte ein gleichaltriges Mädchen kennen,
eine Studentin. Die gleichen Interessen, Wünsche und Hoffnungen
verbanden die beiden jungen Menschen. Nach einem Jahr waren sie
Freunde, sie kamen sich immer näher. Ihre Gedanken, so stellten
sie oft lachend fest, bewegten sich auf gleichlaufenden Bahnen; die
Empfindungen, die durch Musik oder das Betrachten eines Kunstwerkes in
einem von ihnen wachgerufen wurden, fanden ihre Ergänzung in dem
anderen. In dieser Zeit arbeitete Pjotr eifriger denn je.
Früher hatte er die Schwierigkeiten, auf die
er stieß, niemals so siegesgewiß, so hartnäckig und
leidenschaftlich angegriffen und bewältigt. Die endgültige
Lösung eines Problems brachte ihm aber statt befriedigter
Erleichterung neue Unruhe. Unaufhörlich suchte er zusätzliche
Beschäftigung, neue Probleme, neue Themen. Dann spürte er
plötzlich den unüberwindlichen Drang nach Einsamkeit. Er
unternahm allein einige kühne, ja sogar waghalsige
Bergbesteigungen.
Eines Abends, als er mit dem Mädchen allein im
Laboratorium war und ihre leichten und doch kräftigen Bewegungen
sah, mit denen sie sich an den Apparaturen beschäftigte, da
begriff er so unerwartet, daß sein Herzschlag auszusetzen drohte:
das
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