Das Mond-Monster
Es war auch kein Wagen eines Bestattungsunternehmens, hatte keinerlei Firmenaufschrift, sondern im Gegenteil einen Touristenaufkleber.
Wir konnten trotz der abgedunkelten Scheibe einen kurzen Blick auf den Fahrer erhaschen. Wenn uns nicht alles täuschte, war er ebenfalls dunkel gekleidet und nur sein helleres Gesicht fiel auf. Der Mann schaute starr nach vom, als er an uns vorbeifuhr.
»Sieh mal an«, sagte ich.
»Ein derartiges Gefährt hätte ich in dieser Gegend nicht erwartet.«
»Hier scheinen Freaks zu wohnen.«
Ich zuckte die Achseln. »Solange sie harmlos sind, ist mir das egal. Allerdings finde ich es schon seltsam, wenn jemand mit einem Leichenwagen durch die Gegend kutschiert.«
»Ich bezweifle, dass sich das Mond-Monster so auffällig benehmen würde«, meinte Suko.
»Das versteht sich von selbst.«
»Ein Spaßvogel.«
»Hoffentlich.«
»Oder ein Gruftie, der seinen Sarg immer bei sich hat. Platz genug wäre ja.«
»Stimmt auch wieder.«
Wir sprachen nicht mehr über das ungewöhnliche Fahrzeug, sondern konzentrierten uns auf die Suche nach der Adresse. Es gab nicht nur einen Pub hier im Ort, aber nur einen, der in der Straße lag, die uns angegeben worden war. Sie führte aus dem Ort hinaus in die Dünen hinein und endete auch dort, wo kleine, mit Gras bewachsene Hügel eine wellige Landschaft bildeten.
Das Wetter war sommerlich, auch hier an der Küste, und so hatten die Wirte Tische, Stühle und Sonnenschirme vor ihre Lokale gestellt, um die Gäste anzulocken.
Der Pub hieß Ocean View, obwohl vom Meer nicht viel zu sehen war. Und mit den Gästen war das auch so eine Sache. Es saß nur ein Mann draußen. Er trug blaue Jeans, eine helle Jacke und ein ebenfalls blaues Hemd. Seine Füße steckten in Turnschuhen. Als er unseren Wagen sah, nahm er die Sonnenbrille ab und winkte uns zu. Ein Zeichen für uns, dass wir Ben Cross gefunden hatten.
Unseren Wagen konnten wir einige Meter weiter abstellen. Wir stiegen beide aus und waren froh, die frische Seeluft einatmen zu können. Es war leicht windig, sodass die Wärme der Sonne angenehm war.
»Das hätten wir«, sagte Suko. »Wir haben einen Leichenwagen gesehen, wir wissen, wer Ben Cross ist, jetzt fehlt uns nur noch das Mond-Monster zu unserem Glück.«
»Glück?« Ich war skeptisch. »Unter Glück stelle ich mir ehrlich gesagt etwas anderes vor.«
»Ich auch, wenn du mich so fragst. Aber man muss ja das Beste aus einer Lage machen.«
Nach dieser Antwort steuerten wir den Tisch des Kollegen an…
***
Ben Cross war ein Mann, der die 50 überschritten hatte und auf die 60 zuging. Er hatte dichtes, naturkrauses Haar, das im Laufe der Jahre grau geworden war und einen Teil seiner Ohren bedeckte.
Als wir nahe genug an ihn herangekommen waren, nahm er seine dunkle Brille von neuem ab. Wer hier lebte, der besaß immer eine gut gebräunte Haut, und das war auch bei ihm der Fall. Im Gegensatz zu seiner hohen Stirn stand der kleine Mund. Auch das Gefühl der Unruhe in seinen grauen Augen war nicht zu übersehen.
Wir stellten uns vor, dann nahmen wir Platz. Der Kollege hatte Kaffee bestellt, auf den ich verzichten konnte, obwohl er bestimmt besser war als an der Tankstelle. Ich entschied mich ebenso für Mineralwasser wie mein Freund Suko.
Gebracht wurde es uns von einem jungen Mädchen mit hellblonden Haaren und zahlreichen Sommersprossen.
»Die Tochter des Hauses«, sagte Ben Cross mit leiser Stimme.
»Wobei wir auch bei Ihrer Tochter wären.«
»Ja, Mr. Sinclair, das stimmt. Sie ist verschwunden und daran hat sich auch in der letzten Stunde nichts geändert. Ich hätte sie von hier aus sehen müssen, wäre sie zurückgekommen.«
»Und Sie haben noch immer keine Ahnung, wo sie stecken könnte?«, fragte ich.
»Nein, die habe ich nicht.« Er senkte den Kopf und fügte ein »leider« hinzu.
»Wobei sie nicht unbedingt eine Beute des Mond-Monsters geworden sein muss« sagte ich.
»Weiß man’s?«
»Natürlich nicht.«
»Es deutet vieles darauf hin, Mr. Sinclair. Auch die anderen vier Frauen sind plötzlich verschwunden. Wir gehen davon aus, dass es in der Nacht geschehen ist.«
Die nächste Frage stellte Suko. »Müssen Sie nicht davon ausgehen, dass Sie zu wenig getan haben, um den Fall oder die Fälle aufzuklären?«
»Es gab eine Sonderkommission.«
»Und?«
»Sie brachte nichts. Der Kidnapper war schlauer. Ich will nicht von einem Mörder sprechen, denn wir haben noch keine Leiche gefunden. Deshalb gehen wir auch davon aus, dass
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