Das Mond-Monster
Er würde wieder unterwegs sein und er hoffte, dass er dann erneut auf das Mond-Monster treffen würde.
Er würden dann vorbereitet sein und entsprechende Fragen stellen. Und er würde sich zu wehren wissen, wenn es darauf ankam. Aber das hatte Zeit. Ein langer Nachmittag und auch ein Abend lagen noch vor ihm.
Er hatte nichts gegessen und auch nichts getrunken. Selbst der Drang nach Blut hielt sich in Grenzen. Er würde sowieso in wenigen Tagen vorbei sein, wenn der Vollmond verschwunden war. Dann drang die menschliche Seite wieder bei ihm durch und er würde sich voller Ekel fragen, wie er überhaupt dazu kam, Blut zu trinken.
Jetzt war er wieder normal. Ein völlig normaler Mensch, wenn auch anders gekleidet.
Zur oberen Turmwohnung gehörte auch ein kleines Bad. Der Raum besaß kein Fenster, er war ständig feucht und das war auch an den Wänden zu sehen, über die sich ein weißlich-grüner Flaum aus Pilzen gelegt hatte. Ein normaler Mensch hätte die Bude verlassen, aber Mike fühlte sich hier wohl. Er schaltete das Licht ein. Von der Tür her ging er auf den Spiegel zu. Dort malte sich sein Gesicht ab, bei dem der Mund zu einem Grinsen in die Breite gezogen war, denn jetzt sah er wieder so aus wie er es sich wünschte.
Kein Vampir mehr. Ein normales Gebiss. Okay, die Augen waren dunkel, sie lagen tief in den Höhlen und das hagere Gesicht passte sowohl zu der hageren Gestalt als auch zu der Kleidung. So konnte er auch in seinem Normalzustand schon kleine Kinder erschrecken, aber das war nichts im Vergleich zu dem anderen Zustand, der ihn bei Einbruch der Dunkelheit erwischen würde.
Er blieb vor dem Spiegel stehen. Er reckte und streckte sich wie jemand, der sich entspannen will. Aus seinem Mund drang ein leises Lachen und er sah im Spiegel das Blitzen seiner Augen. Darin zeichnete sich sein Zustand ab. Er war für ihn positiv. Er wollte etwas unternehmen und er würde sich von niemandem davon abhalten lassen. Er wollte das Mond-Monster stellen und er wollte vor allen Dingen herausfinden, ob es zwischen ihnen beiden eine Verbindung gab, denn sie gehörten ja zu den Außenseitern.
Er drehte sich um, nachdem er einen letzten Blick auf seine Brust geworfen hatte. Das Hemd war weit aufgeknöpft worden, so hatte er den Ausschnitt und auch die querliegende Wunde auf seiner Haut gut erkennen können.
Es ging ihm etwas besser, als er das kleine Bad verließ, weil er mit sich einigermaßen ins Reine gekommen war und die Aussichten für die Zukunft so schlecht nicht aussahen.
Mit kleinen Schritten ging er zurück in sein Wohnzimmer. Er stellte sich ans Fenster und schaute hinaus. Es war kein so heller Tag wie noch vor 24 Stunden. Der Himmel hatte sich verändert. Helle Wolken, die einen Stich ins Graue bekommen hatten, zogen wie gewaltige Schiffe über das bläuliche Firmament hinweg. An den Rändern wurden sie vom Licht der Sonne gestreift, das ihnen einen leicht goldenen Schimmer gab.
Weiter oben zog ein Flugzeug seine Bahn, einen Kondensstreifen hinter sich her ziehend. Sein kleiner Leuchtturm stand außerhalb der Ortschaft. Von seiner Etage hatte er einen hervorragenden Ausblick in das Land hinein und im Süden schaute er auf das Meer, das sich ständig bewegte.
Er liebte diesen Anblick, denn er war so beruhigend. Immer wenn er nach draußen schaute, kam er sich wie ein Wachtposten vor, der alles überblickte, um nach Gefahren Ausschau zu halten.
Auch die Buden und Fahrgeschäfte des Jahrmarkts gerieten in sein Blickfeld. Von seiner Stelle aus wirkten sie so klein wie Spielzeuge. Wie die Welt überhaupt sehr verkleinert wirkte und er sich vorkam wie der große Zampano.
Der Ort Gileston lag ebenfalls zu seinen Füßen. Er sah ihn als eine Ansammlung von Häusern, zwischen denen noch viel Platz für die Menschen war, um sich frei zu bewegen. Es war dort nie viel los. Von Autoverkehr konnte erst recht nicht gesprochen werden. Es gab keine Ampeln und nicht mal einen Kreisverkehr.
Ein Fahrzeug verließ den Ort in seine Richtung. Von seiner Position aus sah er, dass es sich dabei um einen schwarzen Wagen handelte. Das Fabrikat erkannte er nicht. Die Sonnenstrahlen spiegelten sich auf dem Lack.
Eigentlich hätte ihn das Fahrzeug nicht zu interessieren brauchen. Er spürte allerdings, dass er nicht so unbeteiligt bleiben würde, denn er hatte das Gefühl, dass der Fahrer des Wagens zu ihm wollte. Diese Erkenntnis hatte ihn plötzlich angesprungen und er merkte das starke Kribbeln auf seinem Rücken.
Sein Turm
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