Das Mond-Monster
die Idee gekommen, von außen her über die Klippen zu gehen, was auch lebensgefährlich war.
Wir taten es und wir hatten Ben Cross mitgenommen, der sich nicht hatte abhalten lassen. Auf einem schmalen Grat bewegten wir uns und mussten dabei noch Hindernisse aus dem Weg räumen, denn es wuchsen nicht nur Gräser aus dem Fels, sondern auch die harten, manchmal biegsamen, aber immer sperrigen Zweige irgendwelcher Büsche.
Es war dunkel geworden. Der Mond stand über uns als einziger Lichtspender und mir kam sein Licht in dieser Nacht noch stärker vor als gewöhnlich.
Die gelbe Kugel glotzte auf uns nieder. Sie versilberte die Wellen des Meeres, die tief unter uns gegen die Klippen schäumten und dort zerstört wurden wie brüchiges Glas.
Es gab im Fels immer wieder Lücken, in die wir unsere Finger stecken konnten, um Halt zu finden. Aber auch Zweige mussten uns manchmal Sicherheit geben.
Mike ging vor.
Von seinen Handschellen hatten wir ihn natürlich befreit. Aber er kannte meine Drohung. Sollte er versuchen, uns reinzulegen, würde ich seine Existenz als Halbvampir mit einer Silberkugel beenden.
Hinter mir ging Ben Cross und ich hörte ihn auch. Er fluchte und sprach Gebete. Er hatte eine wahnsinnige Angst um seine Tochter, was verständlich war.
In der letzten Zeit hatten wir zu oft den Kürzeren gezogen und Niederlagen erlitten. Wir hatten dann vor den Leichen der Personen gestanden, die in die Mahlsteine der dämonischen Kräfte hineingeraten waren. Hier war es hoffentlich anders.
Immer wieder bröckelten unter dem Druck unserer Schuhe kleine Steine ab. Das ließ sich noch verkraften. Kritisch würde es, wenn sich große Steine lösten, dann würden wir in die Tiefe rutschen und auf die Klippen stürzen, bevor das Wasser unsere Körper holte.
Auch Ben Cross hielt sich gut. Obwohl er unter einem so großen Druck stand, trat er sicher auf. Nur seine Flüche und Gebete stoppte er nicht und ich spürte hin und wieder seinen warmen Atem in meinem Nacken.
Suko machte den Schluss. Er war gewissermaßen eine Rückendeckung, die wir dann nicht mehr brauchten, als Mike Derek stehen blieb.
Er drehte mir den Kopf zu.
»Sind wir da?«
Er nickte.
»Wo ist der Zugang?«
Mike streckte den rechten Arm in die Höhe. Da war nicht viel zu sehen, nur ein Felsvorsprung.
»Dahinter?«
»Ich spüre ihn.«
»Okay, du zuerst!«
Für einen Moment sah es so aus, als wollte er sich sträuben, aber er erkannte, dass es keinen Sinn hatte, als er über die Schulter schaute und mein Gesicht sah. Ich war entschlossen, alles zu tun, und das wusste er.
Es war einfach, den Vorsprung zu erreichen, auf dem sich das trockene Buschwerk ausbreitete, aber auch Lücken besaß, durch die wir dahinter in eine Höhle schauten, in der sich ein schwacher Lichtschein abmalte.
»Dort?«, fragte ich leise.
»Es ist da!«, flüsterte Mike zurück.
»Dann geh du als Erster!«
Es gab für ihn keine andere Chance, das wusste er. Aber er ging noch nicht. Ich spürte sehr deutlich seine Unsicherheit, als er auf mich herabschaute. Irgendwie wollte er uns und der gesamten Situation nicht trauen und er sagte: »Nein, nein…«
»Was soll das?«
»Ich gehe woanders hin…«
Ein Schritt, ein Schrei, ein Flug!
Seine Gestalt wirbelte durch die Luft. Er hatte sich mit einem heftigen Ruck abgestoßen und flog jetzt im hohen Bogen dem Wasser und den harten Felsklippen entgegen. Wir schauten ihm nach und sahen noch, wie sich sein Mantel während des Flugs ausbeulte.
Er war kein Fallschirm und bremste den Fall in die tödliche Tiefe nicht ab. Wenig später war er aus unserem Blickfeld verschwunden und wir hörten Ben Cross lachen.
»Endlich ist der Kerl weg! Und zwar für immer.«
Ich dachte anders und ich hatte noch die Zeit, es ihm zu sagen. »Er ist eine tragische Gestalt gewesen, Ben. Er war einmal so und dann wieder so. Ich glaube kaum, dass dies ein Mensch aushalten kann, und wir haben nicht das Recht, über ihn zu richten. Außerdem hat er sich verdammt bemüht. Ohne ihn stünden wir nicht hier.«
»Ja, Sinclair, ich weiß, aber ich will meine Tochter!«
Die wollten Suko und ich ebenfalls finden. Deshalb betraten wir die Höhle des Grauens…
***
Ein fruchtbarer Verwesungsgestank schlug uns entgegen, der uns allen den Atem raubte. Wir hatten den Eindruck, einen Schlag ins Gesicht zu bekommen, aber wir rutschten über einen kleinen Abhang tiefer in die Höhle hinein, die zum Glück nicht völlig finster und zu einer Ritualstätte umgebaut
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