Das Mond-Monster
und sie wusste auch, dass eine Nische für sie freigehalten worden war, in der sie sterben sollte. Sie hatte die Kehlen der anderen Opfer gesehen und auch die Schnitte darin, und genau das Schicksal war auch für sie vorgesehen.
Noch war das Monster nicht bei ihr. Es hielt Distanz, aber es machte ihr noch mehr Angst, als sich das lang gezogene und zu einem Halbmond gebogene Maul bewegte und das Licht darin zu zucken begann. Sie hörte plötzlich Laute, die möglicherweise so etwas wie eine Sprache sein sollten, aber es war für Helen nicht zu verstehen.
Helen wusste nicht, wohin sie gehen oder fliehen sollte. Diese Höhle war ein einziges Gefängnis, in dem sie von den starren Augen der Toten beobachtet wurde.
Das Mond-Monster schwang seine Sichel nicht mehr. Der Arm kam zur Ruhe. Das Licht in den Augen zuckte, als hätte es sich genau in diesem Augenblick etwas vorgenommen. Mit einem langen Schritt glitt es näher an die junge Frau heran und Helen dachte daran, dass jetzt ihr letztes Stündlein geschlagen hatte, aber das Mond-Monster legte die Sichel noch nicht gegen ihre Kehle. Dafür hob es den linken Arm und damit auch die linke Hand, die es zur Faust geballt hatte. Sie blieb nicht lange in diesem Zustand, denn der Unhold begann, seine Finger zu strecken.
Er begann mit dem Daumen und Helen begriff, denn damit deutete er die Nummer eins an.
Es folgte der Zeigefinger, die zweite Tote.
Der nach oben gestreckte Mittelfinger wies auf die dritte tote Frau hin.
Der Ringfinger folgte als die Nummer vier.
Blieb noch der kleine Finger.
Die letzte Symbolik hatte die Furcht noch stärker in Helen anwachsen lassen.
Der kleine Finger war für sie. Als fünftes Opfer fehlte sie in der Reihe. Und tatsächlich bewegte er sich in die Höhe, aber er blieb nicht in dieser Stellung, denn das Mond-Monster knickte ihn und jetzt wies er mit der Spitze direkt auf sie.
Die fünfte, das fünfte und damit das letzte Opfer, denn weitere Nischen hatte sie in der Höhle nicht gesehen. Wie hypnotisiert starrte Helen auf den Finger, der für sie einer tödlichen Anklage glich. Sie konnte noch immer nicht fassen, in welch ein Grauen sie hier hineingeraten war. Wieder schwappte der Geruch des Todes gegen sie und raubte ihr den Atem. Es drang aus den Nischen hervor. Es war ein unbeschreiblicher Gestank. Sie brachte es nicht fertig, ihn zu beschreiben, sie wusste nur, dass sie ihn nicht mehr lange würde aushalten können.
Helen merkte auch, dass ihre Kräfte schwanden. Brechreiz drang in ihr hoch. Auch der Kreislauf funktionierte nicht mehr normal. Alles schien sich vor ihr zu drehen. Ihre Beine gaben nach und Helen hatte Glück, dass sie nur langsam in die Knie sank und nicht so hart auf den Boden prallte, dass sie sich verletzen konnte.
Die Welt um sie war zwar die gleiche geblieben, aber sie verschwamm allmählich wie in einem Nebel. Noch konnte sie sich in der knienden Lage halten, aber es wurde von Sekunde zu Sekunde schwerer.
Luft!, schrie es in ihr. Jede Faser ihres Körpers rang danach. Ich will Luft! Ich will atmen. Ich will Sauerstoff! Ich will nicht in diesem Gestank ersticken…
Der Wille war vorhanden, allein die Durchsetzung fehlte ihr. Die Augen waren fast aus den Höhlen getreten. Jeder Versuch, einzuatmen, glich einer mörderischen Qual und sie überkam das Gefühl, allmählich wegzuschwimmen, während sich in der Lunge tausend Nadeln festgesetzt zu haben schienen.
Der Tod griff nach ihr.
Sie sah ihn nicht, aber sie spürte ihn.
Ein Schatten bewegte sich auf sie zu. Vor ihr beugte sich das Mond-Monster nieder. Plötzlich konnte sie wieder klar sehen. Das hässliche Gesicht, das Licht in den Löchern. Der breit grinsende Mund, das Zischeln dahinter, und im nächsten Moment erhielt sie einen Stoß, der sie auf den Rücken warf.
Helen fiel normal. Nur kam es ihr vor, als würde sie schweben und einfach wegfliegen. Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, wie es ist, wenn man erstickt. Jetzt erlebte sie es. Es gab nichts anderes mehr an dieser Schwelle zum Tod. Ein bisschen Luft, ein wenig Leben, klare Luft und nicht dieser widerliche Gestank, der sie allmählich hineinriss in die Bewusstlosigkeit, die dann in den Tod überging.
Vor ihr kniete das Mond-Monster, das dicht vor seinem letzten Triumph stand…
***
Es war so einfach, die Höhle und damit das Versteck des Mond-Monsters zu finden – wenn man es wusste. Mike Derek kannte den Weg. Die Suchmannschaften hatten ihn nicht gekannt, denn niemand wäre auf
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