Das Mondkind (German Edition)
an wie Seide und ist weniger steif als Satin, und er sieht hauchzart aus. Fast scheint er ein wenig zu leuchten, als brächte das Kleid sein eigenes Licht hervor. Die Manschetten und der Kragen sind aus Spitze, die raffinierter ist als alles, was Crispin je zuvor gesehen hat.
Mirabell trägt weiße Slipper mit weißen Schleifen. Auf jeder Schleife ist etwas angebracht, was eine kleine Traube roter Beeren zu sein scheint.
»Ich fühle mich sehr hübsch«, sagt Mirabell.
»Du bist sehr hübsch«, erwidert ihre Mutter.
»Diese Schuhe sind wie Ballettschühchen.«
»Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit ihnen«, stimmt ihr Clarette zu.
»Werden wir heute Abend tanzen?«
»Einige von uns werden tanzen«, sagt Clarette.
»Ich kann eine Pirouette drehen.«
»Ja, das habe ich schon gesehen.«
»Dieses Kleid wird richtig rauschen, wenn ich eine Pirouette tanze.«
Mirabells blondes, normalerweise glattes Haar ist jetzt gelockt. Ihr Kleid glänzt und ihr Haar schimmert.
Auf ihrem Kopf sitzt nicht etwa ein Hut, auch wenn Harley es so genannt hat, sondern ein Kranz. Der Kranz scheint aus irgendwelchem echten Laub und weißen Bänder n geflochten zu sein. Eicheln sind daran befestigt, aber auch Trauben leuchtend roter tropfenförmiger Beeren wie die auf ihren Schuhen, jeweils drei Früchte pro Traube.
»Wenn ich in Milch bade, werde ich dann nicht stinken?«, fragt Mirabell.
»Nein, meine Süße. In der Milch werden die Blütenblät ter von Rosen und Rosenessenz schwimmen. Außerdem spülen wir dich hinterher mit angenehm warmem Was ser ab.«
» Aqua pura .«
»Stimmt genau.«
»Was ist Aqua pura eigentlich ?«
»Das sauberste Wasser auf Erden.«
»Warum waschen wir uns dann nicht jeden Tag damit?«
»Es ist nur für besondere Anlässe.«
»Wird es in Flaschen abgefüllt?«
»Manchmal. Aber wir werden es aus silbernen Schalen gießen. Warte, bis du sie siehst, es sind sehr schöne Schalen.«
»Cool«, sagt Mirabell. »Mommy, wäschst du dich bei besonderen Gelegenheiten auch mit Aqua pura ?«
Aus irgendeinem Grund belustigt diese Frage Proserpina derart, dass sie sich ein kleines Lachen nicht verkneifen kann.
Clarette sagt: » Aqua pura ist nur etwas für kleine Mädchen und Jungen.«
Abgesehen davon, dass sie keine Flügel hat, ist Mirabell so schön, dass sie in ihrem weißen Kleid wie ein Engel aussieht und der Kranz wie eine Art Heiligenschein.
Mit dem Auge an dem Spalt zwischen der Tür und dem Türrahmen überrascht es Crispin, wie sehr seine Schwester nach einem Engel aussieht. Er rechnet fast damit, dass sie abhebt und durch das Zimmer schwebt.
Ihre Mutter sagt: »In Ordnung, meine Süße. Jetzt ziehen wir dir das Kleid wieder aus, damit Proserpina die letzten Änderungen vornehmen kann.«
Zuerst zieht ihre Mutter Mirabell die Slipper aus und dann streifen sie und die Näherin dem Mädchen das Kleid über den Kopf und es steht in seiner Unterwäsche da.
Crispin ist erst neun, Mirabell sechs. Bisher war es ihm nie peinlich, seine Schwester in Unterwäsche zu sehen. Seltsamerweise bringt es ihn jetzt in Verlegenheit, doch er kann den Blick nicht abwenden.
Clarette erhebt sich, nimmt ihrer Tochter den Kranz vom Kopf und legt ihn auf einen kleinen Tisch, auf dem ein weißes Tuch drapiert ist. Sie behandelt den Kranz wie einen Gegenstand von großem Wert.
Jetzt betritt Aralu, ein anderes Hausmädchen, das Nähzimmer. Sie sieht aus wie die Schauspielerin Jennifer Anniston, nur jünger.
»Komm, kleine Bell«, sagt Aralu. »Es ist Zeit für ein ganz besonderes Bad.«
Mirabell steigt von dem Podest. Barfuß und in Unterwäsche folgt sie Aralu aus dem Zimmer in den Flur.
Harley rückt von seinem Bruder ab und schleicht zu der Tür, die aus dem Zimmer zum Geschenkeverpacken auf den Flur führt.
Crispin bleibt an der Verbindungstür stehen und nur er allein hört die letzten Worte, die seine Mutter und Proserpina miteinander wechseln.
Mit offenkundiger Belustigung sagt die Näherin: »Wenn nicht in Aqua pura , worin baden Sie denn dann zu besonderen Anlässen?«
»In Drachenpisse«, sagt Clarette und fällt in das Gelächter der anderen Frau ein, ehe sie das Nähzimmer verlässt.
Crispin hat seine Mutter schon schlimmere Ausdrücke verwenden hören. Er ist nicht schockiert, nur verwirrt. Er kann sich keinen Reim auf ihre Bemerkung oder auf irgendetwas von dem machen, was er gerade mit angesehen hat.
Als sie sicher sind, dass Aralu, ihre Mutter und ihre Schwester in einem der vielen Badezimmer
Weitere Kostenlose Bücher