Das Monopol
Verhaftung würde es viel schwieriger für den Staatsanwalt sein, ihm das Ausspionieren einer bestimmten Person nachzuweisen – so hatte es ihm ein befreundeter Anwalt vom Justizministerium erklärt.
Klimow öffnete den Schrank am Anfang der Reihe, acht Schränke von der Ablage mit Pjaschinews Akte entfernt. Das Schloss an jedem Aktenschrank war mit einem Computer gekoppelt, der Datum und Uhrzeit jeder Öffnung und Schließung aufzeichnete. Klimow ging nach einem bestimmten Muster vor: Er machte eine Tür auf, ließ sie einige Minuten offen und schloss sie dann wieder. Wenn später jemand die Computeraufzeichnung überprüfte, musste es so aussehen, als würde Klimow eine routinemäßige Inspektion vornehmen, die zu seinen vorrangigen Aufgaben zählte. Denn der GRU konnte es sich keinesfalls leisten, dass eine Akte am falschen Ort landete. Mitglieder des Stabes wurden extra dafür bezahlt, dass sie zufällig ausgewählte Computeraufzeichnungen anschauten. Zum Glück für Klimow war das Budget des GRU inzwischen so beschnitten, dass man nicht mehr genügend Leute hatte, um die Computerdaten mit den Videobändern abzugleichen. Aber warum ein unnötiges Risiko eingehen? Klimow war zwar ein Verräter, aber einer, der es sehr genau nahm.
In der nächsten Dreiviertelstunde beschäftigte er sich mit den acht Aktenschränken, die vor dem Schrank standen, dessen Inhalt ihn wirklich interessierte. Jedem Aktenschrank widmete er ungefähr fünf Minuten. Um Pjaschinews Akte durchzusehen, würde zum Schluss nicht viel Zeit bleiben.
Die Uhr tickte.
Um 3.50 Uhr schritt Oberst Kowanetz durch den Haupteingang der GRU-Zentrale, zwei Stockwerke über dem Archivraum. Feldwebel Bucharowna sprang vom Stuhl auf, hielt sich kerzengerade und salutierte vor dem Offizier mit dem wie gemeißelt wirkenden Gesicht und den leblosen grünen Augen.
Kowanetz erwiderte den militärischen Gruß mit einer knappen Geste. »Oberst Kowanetz, Feldwebel. Ich muss eine Akte einsehen.«
Feldwebel Bucharowna brach der Schweiß aus. »Sie arbeiten noch sehr spät, Oberst.«
»Die Arbeit für das rodina ruht nie, Feldwebel«, gab Kowanetz barsch und ohne Andeutung eines Lächelns zurück.
»Da. Würden Sie sich bitte hier eintragen, Oberst?« Sie zeigte auf eine Liste und nahm den Telefonhörer ab. »Ich melde Sie im Archiv an. – Gefreiter Semenow, hier Feldwebel Bucharowna. Oberst Kowanetz kommt herunter, um eine Akte einzusehen.«
Bucharowna legte auf und salutierte wieder, während Kowanetz den Stift auf die Liste legte und zu den Fahrstühlen ging. Er drückte den Knopf und tippte nervös mit dem Fuß auf den abgetretenen Marmorboden, während er auf den altersschwachen Aufzug wartete.
3.51 Uhr. Klimow stieß die schwere Tür des Schranks zu, schloss ihn ab und öffnete dann endlich den Schrank, der Pjaschinews Akte enthielt. Er wühlte in den dicken Akten, bis er auf den Ordner mit der Aufschrift »Pjaschinew, Leonid Iwanowitsch« stieß. Klimow zog den Ordner heraus und widmete sich der ersten von fünf Seiten, die Oberst Kowanetz in der vergangenen Woche dazugeheftet hatte. Nacheinander drückte er Chronograf-, Licht- und Datentasten seiner Digitaluhr und legte sie mit dem Zifferblatt nach unten auf die Seite. Langsam scannte er jede einzelne Zeile ein, jedes Foto.
Die automatischen Türen hatten sich kaum geöffnet, als Kowanetz auch schon in den Aufzug trat und mit der Faust auf den Knopf zum Untergeschoss hieb. Mit einem knirschenden Geräusch fuhren die Türen zu. Dann bebte der alte Hydraulikaufzug einmal kurz und begann sich stöhnend in die Tiefe abzuseilen.
Klimow legte das zweite Blatt beiseite und scannte das dritte ein. Die Seiten waren sehr eng beschrieben. Er musste die Uhr ganz langsam über jeden Satz ziehen, um sicherzugehen, dass er sämtliche Informationen kopierte.
Knirschend fuhren die Türen auf. Der Fahrstuhl spie seinen ungeduldigen Passagier aus.
Gefreiter Semenow sprang auf und salutierte zackig.
Erneut erwiderte Kowanetz den Gruß mit einer knappen Geste. Er wollte nur nachsehen, welche russischen Städte und welche Staaten im Ausland Pjaschinew während der letzten zwei Jahre besucht hatte. Mit der letzten hingekritzelten Nachricht des Mannes konnte man nicht viel anfangen. Vielleicht konnten ihm die Länder einen Hinweis darauf geben, wo die verschwundenen Diamanten waren. Auf jeden Fall war es einen Versuch wert.
»Wenn Sie sich bitte hier eintragen wollen, towarisch Oberst.«
»Ich habe mich bereits oben
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