Das Monopol
dem Weg zur Bolling Air Force Base, der ersten Zuflucht, die ihm einfiel.
34.
Der Verräter
GRU-Zentrale
Moskau, 2.53 Uhr
Oberst Grigorij Klimow vom GRU war unterbezahlt. Unterbezahlt und unzufrieden. Für einen Mann mit seiner Ausbildung und Intelligenz war das klägliche Gehalt, das er vom GRU-Dienst erhielt, eine Zumutung. Doch Klimow war viel zu findig, um sich allein auf das magere Staatssalär zu verlassen. Immerhin verfügte er über eine sehr wertvolle Ware: Als Kommandeur der Nachtschicht in der GRU-Zentrale besaß er Zugang zu Informationen – den wirklich wichtigen. Und die gab es bändeweise. Tonnenweise. Obwohl der Kalte Krieg verloren war und viele Geheimdokumente nun nicht mehr geheim waren, gab es noch viele andere Informationen, die so wertvoll waren wie früher – und die sich inzwischen noch besser verkaufen ließen, da auch ausländische Mächte auf dem Markt mitboten.
Klimow gab dabei keiner Nation den Vorzug. Der Meistbietende bekam, was er wollte; Loyalität war für den GRU-Oberst etwas Käufliches. Wenn Mütterchen Russland einem Mann wie ihm nur ein Butterbrot bezahlte, dann verdiente es seine Loyalität nicht. In der einen Woche verschacherte er geheime Informationen an die französische Gegenspionage, in der nächsten an den israelischen Mossad. Oder an den britischen militärischen Abwehrdienst. Oder an die amerikanische CIA. Einmal auch – verrückterweise – an den KGB. Solange Klimow in US-Dollars oder Euro bezahlt wurde, war es ihm gleich, woher das Geld stammte.
Natürlich war der Geheimdienst viel zu misstrauisch gegenüber seinen unterbezahlten Angestellten, als dass ein älterer Offizier wie Klimow nicht unter ständiger Beobachtung gestanden hätte; aber das wusste Klimow selbstverständlich. Er warf einen Blick auf seine Digitaluhr, trat aus dem Archiv, das einem Flugzeughangar ähnelte, in den Korridor und warf dem Gefreiten Semenow von der Nachtwache eine Schachtel Kosmos-Zigaretten zu.
»Ich geh mal Lenin besuchen«, scherzte Klimow. Das sagte er stets, bevor er zur Toilette ging, und gab damit Semenow zu verstehen, dass er in der Zwischenzeit niemandem Zugang zum Archiv gestatten durfte.
Semenow blickte von seiner russischen Ausgabe des Playboy auf. »Da, towarisch Oberst.« Während Klimow über den Flur ging, wählte Semenow die Nummer von Feldwebel Anna Bucharowna, die mit der Video- und Audioüberwachung des Archivs betraut war.
»Feldwebel Bucharowna? Hier spricht Semenow. Was halten Sie von einer Zigarettenpause, Feldwebel?«
»Nein, danke. Ich habe eben Pause gemacht. Vielleicht später.«
»In Ordnung. Dann beobachten Sie mal schön.«
Beobachten Sie mal schön. Diese Worte waren eine Warnung für Bucharowna, dass Klimow gleich wieder im Meer der GRU- Akten herumstöbern würde. Der gesamte russische Militärapparat war von Korruption verseucht, auch Semenow und Bucharowna. Es ging nur darum, wer am besten zahlte. Und was das betraf, war Klimow Meister.
Einige Minuten später kehrte Klimow ins Archiv zurück. Hinter ihm glitt die elektronisch gesicherte Tür ins Schloss. Klimow begab sich in den winzigen Bereich, wo besonders vertrauenswürdige Mitarbeiter des Dienstes Akten einsehen konnten, ohne von versteckten Videokameras beobachtet zu werden. Wieder schaute er auf die Uhr: eine Minute vor drei in der Frühe.
Feldwebel Bucharowna wartete bis Punkt drei Uhr, drückte dann auf die Stopptaste ihres Sony-Recorders, nahm das Band heraus und legte ein bespieltes ein. Obwohl sie die Aufzeichnungstaste drückte, würde das Band von 3.00 Uhr bis 4.00 Uhr ein leeres Archiv zeigen.
Klimow hatte eine Stunde Zeit.
Er wartete bis fünf Minuten nach drei, um sicher zu sein, dass Bucharowna inzwischen das Band gewechselt hatte. Dann trat er vor einen Aktenschrank, der mit einem Code gesichert war. Nur Klimow und drei andere mit der Aufsicht des Archivs betraute Offiziere besaßen Aufzeichnungen über den Inhalt jedes stählernen Aktenschranks. Der gepanzerte Schrank, vor dem Klimow stand, enthielt die umfangreiche GRU-Akte des verblichenen Leonid Pjaschinew. Obwohl die Akte angelegt worden war, als Pjaschinew seine Arbeit für Komdragmet aufnahm, war sie erst kürzlich auf den neuesten Stand gebracht worden. Warum, wusste Klimow nicht, und es war ihm auch egal. Je weniger er über die Akten wusste und über die Gründe, weshalb seine ausländischen Kunden sie haben wollten, desto besser. Wer nichts weiß, kann nichts verraten, und im Falle einer
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