Das Monopol
wir sind verirrt. Was tun? Böse Geister ziehn und jagen uns von allen Seiten nun.« Puschkins Worte und die hypnotische klagende Stimme des Mannes zogen die Menschen auf dem Marktplatz an wie Sauerstoff, der von einem Feuer angesogen wird.
»Ich liebe Russland! Ich liebe das russische Volk! Ich liebe die russischen Wälder und Schnee und Eis und die weiten Ebenen! Ich liebe den russischen Geist! Ich liebe die russische Seele!«
Molotok machte eine kurze Pause.
»Aber wo ist Russland? Russland ist verschwunden! Wo ist das Russland, das wir kennen? Das Russland, das uns Stärke gab, Wärme und Sicherheit? Das Russland, das uns nährte, kleidete und lehrte? Unser Mütterchen Russland!«
Das muss er sein, dachten die Leute. Das ist Molotok.
Hinter der provisorischen Rednertribüne sammelten sich Matrosen auf den Decks der wenigen noch übrig gebliebenen Marineschiffe. Sie legten die Hand hinters Ohr, um den Mann hören zu können, der ihnen aus der Seele sprach.
»Wir haben unser Reich verloren! Wir haben unseren Stolz verloren! Wir haben unsere Achtung verloren! Der Westen raubt unsere Bodenschätze! Die krestnii otets, die Paten des Teufels, rütteln an den Grundfesten unseres geliebten rodina! Sie plündern unsere Schätze! Unsere herrliche Hauptstadt! Unser Land! Sie kaufen unsere Kinder und zerstören die Familie! Wir sind einer Besatzung ausgeliefert!«
Molotok hielt inne und ließ den Blick über die Menge schweifen, sah einigen Zuhörern direkt in die Augen. Im gemeinsamen Blick der Menschen erkannte er die russische Seele, sah den Schmerz hinter den verhärteten Masken des Alltags.
»Wo ist die Heilige Mutter Russland? Ich sag es euch: Sie ist den amerikanischen Dämonen zum Opfer gefallen! Sie saugen uns das Blut aus! Unsere Rohstoffe! Unseren Stolz! Alles ist in die Hände der gierigen, Geld scheffelnden Juden und der korrupten römischen Kirche gefallen! Unser Feind, die schido-masonstwo, die jüdische Freimaurerei! Sie kontrollieren unsere Wirtschaft! Sie kontrollieren unsere Behörden! Unsere Regierung!« Wieder hielt er inne und sah Einzelnen aus der Menge in die Augen. »Sie haben Russlands Ruin herbeigeführt. Wer sonst sollte vom Zusammenbruch Russlands profitieren? Von unserem Schmerz? Unseren Leiden? Von unserer Schwäche?«
Viele kletterten auf die Tische, um die fast mythische Gestalt besser sehen zu können.
»Die großen Veteranen haben für Mütterchen Russland gekämpft! Gegen die Nazis! Sie haben die Faschisten zurückgeworfen!«, brüllte Molotok. »Vor Stalingrad, in Eis und Schnee! Sie hatten nichts zu essen, kämpften mit den bloßen Händen!« Seine rechte Hand ballte sich zur Faust. »Unsere Regierung hat sie vergessen! Ihre Opfer! Stolz und Heil haben sie unseren Kindern vorenthalten! Sie haben nie die Herrlichkeit des großen rodina schauen dürfen! Unter Stalin! Als die Welt vor unserer Armee zitterte! Vor unseren Kriegsschiffen! Unseren Kämpfern! Unseren Bombern! Unseren Raketen! Unsere Kinder sind ihres Erbes beraubt worden!«
Wilde, zornige Beifallsrufe stiegen aus der Menge auf.
»Und wir? Was haben wir? Was haben uns die so genannten Reformen aus dem Westen gebracht? Was ist mit den Läden geschehen? Den Krankenhäusern? Mit den Straßen? Den Bussen? Ich kann mir nicht mal einen Laib Brot erlauben. Ich konnte mir noch benzina für mein Auto leisten, dann aber wurde auch das von der Mafia gestohlen. Mein Lohn fließt in die Taschen der kapitalistischen Dämonen aus dem Westen! An die Juden! An die römische Kirche! Mein Land, meine Höfe und Weiden ersticken unter dem Ruß ihrer Fabriken. Russische Soldaten. Matrosen. Flieger. Sie verteidigen Mütterchen Russland, aber sie werden von den Bürokraten entlassen! Sie werden nicht anständig bezahlt! Ihre Waffen rosten!« Er zeigte auf die Schiffe im Hafen. »Dies war der Stolz unserer Marine! Nun werden die Schiffe ausgeschlachtet! Warum tun sie uns das an?«, rief er, den Tränen nahe. »Was haben wir ihnen getan? Wir haben unser Blut vergossen, um sie im Großen Krieg zu befreien! Wir sind zu Sklaven des Westens geworden! Wo ist unser Land? Wo ist das rodina? Wo ist die Heilige Mutter Russland?«
Die Rufe steigerten sich zur Raserei.
Molotok schwieg, schaute die Menschen prüfend an. »Wir müssen Mütterchen Russland retten. Wir müssen es mit Macht retten - mit aller Macht, die es verdient. Mit der reinen Macht der russischen Seele. Wir müssen alles zerstören, was unser rodina zerstören will.«
Wie ein Schrei
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