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Das Monster von Bozen

Das Monster von Bozen

Titel: Das Monster von Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rüth
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übernachtet haben. Ist das zutreffend?«
    Mantinger sah ihn freundlich an. »Ja, das stimmt. Kann ich Ihnen vielleicht einen Kaffee bringen lassen?«
    »Nein, vielen Dank. Welcher Gipfel war das denn?«
    »Die Jakobsspitze.«
    Vincenzo war überrascht. Der Berg war nur einen Steinwurf von Sarnthein entfernt. »Was, hier? In den Sarntalern?«
    »Genau die.«
    »Alleine. Ja?«
    »Ich bin meistens alleine in den Bergen unterwegs, ich genieße die Ruhe und die unberührte Natur. Das ist Labsal für meine Seele.«
    »Aha, und dort haben Sie übernachtet, mitten auf dem Gipfel?«
    »Nicht direkt auf dem Gipfel, sondern etwas unterhalb, es gibt dort eine flache, windgeschützte Wiese.« Mantinger öffnete eine Schublade und holte eine Wanderkarte hervor. »Soll ich Ihnen das auf der Karte zeigen, Commissario?«
    »Nicht nötig, ich kenne die Jakobsspitze. Machen Sie das häufiger? Ich meine, mitten in den Bergen im Freien übernachten?«
    »So oft es Zeit und Wetter zulassen. Sie sagten, dass Sie auch manchmal in die Berge gehen?«
    »Richtig, gerade deshalb frage ich. Ich weiß, wie kalt es da nachts werden kann.«
    Beim Gedanken an seine Bergerlebnisse verklärte sich Mantingers Gesichtsausdruck zusehends. »Dann können Sie mich ja bestens verstehen. Sie sitzen alleine am Gipfelkreuz, die letzten Tagestouristen sind weg, um Sie herum ein atemberaubendes Panorama. Sie haben eine Flasche Brunello entkorkt, Käse ausgepackt, Speck, Schüttelbrot. Und während Sie sich kulinarisch verwöhnen, können Sie zusehen, wie die Sonne die Dolomiten rot einfärbt, im Norden der schneebedeckte Alpenhauptkamm, der Ortler mit seinen riesigen Gletschern im Westen. Dann wird es Nacht, Sie schlüpfen in den Schlafsack und blicken hinauf in den Himmel. Jeden einzelnen Stern der Milchstraße können Sie dort sehen. Und diese Stille, diese unendlich tiefe Stille. Man kann darin versinken. Mit den ersten Sonnenstrahlen brühen Sie sich einen Kaffee auf. Das gönne ich mir so oft wie möglich, Commissario. Meine Ausrüstung hält übrigens bis mindestens minus zwanzig Grad. Die Jakobsspitze im Juni ist dafür kein Härtetest.«
    Vincenzo musste sich eingestehen, dass ihn Mantingers Ausführungen faszinierten. So verzückt konnte nur jemand reden, der diese Stimmungen im Innersten spürte. Oder war der sportliche Mann ein ausgezeichneter Schauspieler? »Ich würde Ihnen das gerne glauben, Signor Mantinger, aber Sie können sicherlich nachvollziehen, dass wir das kaum als handfestes Alibi für den Mord an Panzini durchgehen lassen können. Zumal es trotz Ausrüstung ziemlich extrem ist, bei solchen Temperaturen auf einem Gipfel zu übernachten.« Vincenzo war oft genug bis in den späten Abend hinein auf Gipfeln, er kannte die Berge im Winter und war gewiss kein Waschlappen. Dennoch, auf zweitausendsiebenhundert Metern im Freien zu übernachten, war eher Ausnahmeerscheinungen wie Hans vorbehalten. War Mantinger auch eine solche Ausnahmeerscheinung?
    »Was ist denn für Sie handfest, Commissario?«
    »Wie wäre es mit Zeugen?«
    Mantinger gab sich einsichtig. »Zeugen? Ja, das verstehe ich. Mir sind abends noch ein paar Wanderer begegnet, mit denen habe ich mich eine Weile unterhalten, ein Pärchen aus Deutschland und ein Italiener. Die fanden Gefallen an meinem Brunello. Am Samstag sind mir einige entgegengekommen, die auf die Jakobsspitze wollten, darunter eine Wandergruppe. Denen habe ich den Weg erklärt. Ich bin erst gegen Mittag abgestiegen. Ich wollte das Gipfelerlebnis ausgiebig genießen. Verständlicherweise habe ich niemanden nach Namen und Adresse gefragt. Hätte ich gewusst, dass ich irgendwann Zeugen brauche, hätte ich das getan.«
    »Das ist zu wenig, ich kann Sie nicht als Tatverdächtigen ausschließen. Erzählen können Sie mir viel.«
    Mantinger rieb sich nachdenklich das Kinn. Dann sagte er mit erhobenem Zeigefinger: »Ich denke, eine Möglichkeit gäbe es! Die bedeutet allerdings viel Arbeit für Sie. Die vom Abend haben sich nämlich definitiv im Gipfelbuch eingetragen, das habe ich selbst gesehen. Die Gipfelstürmer am Samstag? Weiß ich nicht, die habe ich, wie gesagt, erst beim Abstieg getroffen. Aber deren Identität können Sie als Polizei bestimmt herausfinden, ebenso die Adressen. Diese Leute würden Ihnen meine Angaben bestätigen. Davon abgesehen habe ich mich selbst im Gipfelbuch eingetragen, am Abend und am nächsten Morgen. Wenn meine Einträge unmittelbar vor oder hinter denen meiner Bekanntschaften stehen,

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