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Das Monster von Bozen

Das Monster von Bozen

Titel: Das Monster von Bozen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Rüth
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gewohnt, Herr der Lage zu sein, doch auch für ihn gab es Situationen, in denen er sich überfordert oder unzureichend gerüstet fühlte. Das war eine solche Situation.
    Es war ein Experiment mit offenem Ausgang. Mit Glück würde es nicht so katastrophal enden, wie er insgeheim befürchtete. Er hatte extra seinen kleinen Stadtwagen genommen, den Fiat, falls er hinterher zu aufgeregt war, um sofort wieder nach Hause zu fahren. Damit hätte er weniger Skrupel, sich noch irgendwo mit ein paar Grappa zu beruhigen. Aber wahrscheinlich würde man ja schon dort etwas trinken, um die Stimmung aufzulockern. Es erwies sich einmal mehr als Vorteil, dass er selbst unter Alkoholeinfluss absolut beherrscht und konzentriert sein konnte.
    Die Aufgabe, die vor ihm lag, war anspruchsvoll und würde weitreichende Konsequenzen haben. Hoffentlich kam er damit durch und flog nicht auf. Was, wenn dieser Abend ganz anders verlief, als er es sich vorstellte? Wenn etwas schiefging? Wenn sein Gegenüber anders reagierte, als er hoffte? Andererseits, warum sollte es nicht klappen? Er war selbstbewusst, souverän, hatte die nötige Ausstrahlung. Und mit Geld konnte man so manche Tür öffnen. Beim Gedanken an Geld griff er instinktiv in die Innentasche seines Jacketts. Er hatte den Umschlag dabei. Solche Typen konnten nicht anders überzeugt werden. Geld war das einzige Argument, für das sie zugänglich waren. Er verabscheute diese Menschen zutiefst.
    ***
     
    Um einundzwanzig Uhr vierzig klingelte es bei Carlos Mancini. Er war frustriert, lief unruhig in seiner Wohnung auf und ab, seinen Rotweinkelch mit dem Brunello schwenkend. Seine Frau hatte wieder nicht angerufen, und er erreichte sie auch nicht. Ihr Handy war permanent ausgeschaltet. Sein Leben hatte keinen Sinn mehr. Wofür sollte er morgens noch aufstehen? Für die fünfzigtausend, die er dann gleich wieder einem Geldhai in den Rachen werfen musste? Nicht ganz, es waren nur noch dreißigtausend, dann war die Sache erledigt. Also hatte er zwanzig, mit denen er Sinnvolleres anstellen konnte. Trotzdem: Seine Ehe war kaputt, hatte wahrscheinlich noch nie richtig funktioniert. Sie hatten keine Kinder bekommen. Das lag nicht an ihr, sondern weil er es nicht brachte. Dazu kam, dass ihn sein Job zu Tode langweilte und ihm außerdem Gefängnis drohte. Was also sollte er mit dem Geld überhaupt anstellen? Mitten in seine Endzeitstimmung hinein klingelte es zum zweiten Mal, jetzt länger, ungeduldiger. Er hatte das erste Läuten gar nicht registriert, so tief war er in seine düsteren Gedanken versunken. Gut, dachte sich Mancini, dann wollen wir den fünfzigtausend mal die Tür aufmachen.
    ***
     
    Am Abend hatte Vincenzo Gianna zum Bahnhof gebracht. Sie hatte den letzten Zug um halb acht genommen. Wieder war das Wochenende harmonisch verlaufen, kein Streit, sondern Leidenschaft und Vertrautheit. Als er zum Ausgang zurückschlenderte, malte er sich aus, wie es wäre, wenn Gianna bei ihm wohnen würde, wenn sie da wäre, wenn er abends nach Hause kam, wenn er mittags manchmal mit ihr in der Trattoria essen könnte, wenn sie zusammen ins Kino oder spazieren gehen würden, oder zusammen kochten. Es fiel ihm immer schwerer, sonntags Ciao zu sagen.
    Er hatte keine Lust, nach Hause zu fahren und alleine in seiner Wohnung herumzusitzen. Also beschloss er, seinen Eltern einen Besuch abzustatten und etwas zu essen, obwohl sonntags um diese Zeit viel los war.
    Viel los war gar kein Ausdruck. Als er die Trattoria betrat, waren sämtliche Tische besetzt, draußen und drinnen. Und was es noch nie gegeben hatte: An der Theke standen etliche Gäste, die bei einem Gläschen Merlot vom Fass darauf warteten, dass ein Tisch frei wurde. Dieser Zulauf war dem Ideenreichtum seiner Mutter geschuldet. Schon die Erweiterung der Karte um ladinische Spezialitäten hatte viele neue Gäste in die Trattoria gelockt. Seit Mama auch noch den glorreichen Einfall hatte, sonntags einen Themenabend, wie sie es nannte, zu veranstalten, kamen noch mehr. Heute gab es – neben der normalen Karte – eine reiche Auswahl an Südtiroler Gemüsegerichten mit Kartoffeln, Blumenkohl, Radicchio und roten Rüben.
    »Hallo, Vince, schön, dass du vorbeischaust. Ich kann mich leider nicht um dich kümmern, du siehst ja, was los ist. Ich glaube, wir müssen uns bald einen zweiten Koch und einen zusätzlichen Kellner suchen. Und wir müssen anbauen. Komm an die Theke, trink ein Gläschen.«
    »Nein danke, Mama, es ist mir zu voll. Grüß Papa.«

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