Das Monster von Bozen
So sehr er seinen Eltern diesen Erfolg gönnte, heute hätte er nichts dagegengehabt, wenn es in Strömen geregnet hätte und sämtliche Küchengeräte ausgefallen wären.
***
»Komm rein! Hast du die fünfzigtausend dabei?«
»Lass mich erst mal hinsetzen, gib mir ein Glas mit dem, was du gerade trinkst.«
»Schön, du bleibst also ein wenig?«
Er klopfte Mancini jovial auf die Schulter. »Na klar, wir haben schließlich was zu feiern! Fünfzig Riesen hatten wir lange nicht mehr, und ich denke, bald wird es noch einiges mehr. Wir müssen zusehen, dass wir möglichst viel Geld dem potenziellen Zugriff der Polizei entziehen. Komm schon, schenk ein!«
Mancini holte ein zweites Glas aus dem Regal und füllte es fast bis zum Rand. Was für ein Frevel! So ein edler Wein musste sich entfalten, es war kaum mitanzusehen. Mancini war offensichtlich wieder angetrunken. Es war so gekommen, wie er es befürchtet hatte. Er musste mittrinken, das war ihm in dem Moment klar geworden, als ihm der Wicht die Tür öffnete. Unangenehm, sehr unangenehm. »Danke, ein feines Tröpfchen, ein Brunello, stimmt’s?«
»Und was für einer! Ein 2003er Ripe al Convento, zwei Gläser bei Gambero Rosso, neunzig Parkerpunkte, nicht wahr, siebzig Euro die Flasche!«
Er nickte anerkennend. »Du hast dir unsere kleine Feier einiges kosten lassen. Ich fühle mich geehrt.«
»Ich bitte dich! Fünfzigtausend! Da kann ich dich doch schlecht mit irgendeinem Landwein abspeisen, nicht wahr.«
Er zwang sich zu einem Lachen. »Landwein, das wäre originell. Erfreulich, dass du dein Geld sinnvoll anlegst. Komm, setz dich, ich gebe dir deinen Anteil, dann macht das Trinken noch mehr Spaß.«
Er zog den Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und zauberte ein Bündel Fünfhundert-Euro-Scheine hervor. Natürlich war er dafür nicht nach Vaduz gefahren, noch nicht, er hatte das Geld aus seinem Bankschließfach genommen. Dort hatte er Bargeld für notwendige Anschaffungen und unvorhergesehene Ereignisse hinterlegt, legales Geld, das allein aus seinem üppigen Honorar stammte. Für diesen Zweck war es eigentlich nicht bestimmt, aber ihm blieb nichts anderes übrig. »Netter Anblick, was?«
»Wunderbar, dann wird das vielleicht doch noch ein schöner Abend.«
»Wieso vielleicht? Fünfzig Riesen und ein Ripe al Convento, was willst du denn noch?«
Mancini lächelte gequält. »Trotzdem hat das alles keinen Sinn mehr! Meine Frau ist mir davon gelaufen, mein Job langweilt mich, nicht wahr, ich habe keines meiner persönlichen Ziele im Leben erreicht. Strafbar habe ich mich auch noch gemacht! Wenn das auffliegt, bin ich nicht bloß meinen Job los, nicht wahr. Also, was soll das alles noch?«
Mancinis Gejammere ödete ihn an. Saß da, besoff sich mit edelstem Roten, bemitleidete sich selbst und vertraute sich einem im Grunde fremden Menschen an. Wieder einmal zeigte sich, wie leicht es war, das Vertrauen von charakter- und gesichtslosen Menschen zu gewinnen. Schwanzwedelnd und hechelnd wie ein Hündchen ließen sie sich in jede gewünschte Richtung leiten. Hauptsache, man schenkte ihnen ein Quäntchen Aufmerksamkeit. Je mehr sie angeschlagen waren, desto einfacher konnte man ihre Schwäche gegen sie verwenden.
»Hör auf, Trübsal zu blasen! Erstens läuft dir deine Frau nicht davon. Die weiß genau, dass sie einen wie dich nicht wieder kriegt. Und zweitens machst du deinen Job bis zur Rente. Warum auch nicht? Ich habe das alles perfekt organisiert, dir kann nichts passieren.«
»Du hast mich in der Hand. Ich bin in Vaduz eingetragen, nicht wahr, nicht du!«
Wieder klopfte er Mancini freundschaftlich auf die Schulter, der für diese überaus schlichte Geste der Zuneigung tiefe Dankbarkeit zeigte. Das war der richtige Zeitpunkt, ihre verschwörerische Nähe hervorzuheben. »Schon deshalb kann ich ohne dich nichts machen. Ich brauche dich so, wie du mich, wir bilden eine perfekte Einheit. Außerdem käme auch ich in Teufels Küche, wenn du mich verpfeifst. Man kann mir zwar nichts nachweisen, zumal ich mit diesen Todesfällen nichts zu tun habe. Ein Makel würde mir trotzdem anhaften.«
»Du hast recht. Ich bin froh, dass du hier bist! Warte, ich hol noch eine Flasche, du trinkst doch noch etwas, oder?«
»Klar, dafür bin ich hier, nur wir beide, von Angesicht zu Angesicht, nicht am Handy. Wird Zeit, dass wir uns besser kennenlernen. Wir haben noch viel zusammen vor!«
Mancini ging in die Küche, in der noch mehrere, bereits entkorkte Flaschen
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