Das Monster von Bozen
Gewissen vereinbaren. Und wenn die Sache aufgeflogen wäre, hätte ich meinen Job verloren. Nachdem mich nun auch noch meine Frau verlassen hat, kann ich nicht mehr weiterleben.Aber ehe ich sterbe, will ich endlich abrechnen! Ich bin jahrelang erpresst worden, den Betrug unter dem Namen der Wirtschaftsförderung zu betreiben. Salvatore Gemini hatte mich von Anfang an in der Hand. Ich bin davon überzeugt, dass er nicht nur mich erpresst, sondern auch Arthur Achatz und Ernesto Panzini ermordet hat. Er hat alle Transfers alleine gesteuert, ich habe bloß seine Anweisungen befolgt. Vor Kurzem hat er mir erzählt, Arthur Achatz sei ihm auf die Schliche gekommen. Dies sei aber kein Problem, er werde sich darum kümmern. Deshalb halte ich ihn für den Mörder.Bitte informiert meine Frau. Ich entschuldige mich bei ihr für die letzten Monate, die für sie sehr schwierig waren. Ich kann ihren Schritt verstehen. Sie ist finanziell abgesichert.
Carlos Mancini
»Bevor wir uns darüber auslassen, dass uns hier der Mörder auf dem Präsentierteller serviert wird, eines vorab, Ispettore: Sie wissen, was Baroncini gesagt hat. Gegenüber der Presse sprechen wir von Selbstmord, sonst nichts. Einmal ›Monster von Bozen‹ reicht.« Bei diesen Worten hatte Vincenzo allerdings weniger Baroncini im Sinn, sondern vor allem einen Plan, der anfing, in seinem Kopf Gestalt anzunehmen. »Also, was halten Sie davon?«
Kauend antwortete Marzoli, der inzwischen die obere Ebene der Etagere vollständig abgeräumt hatte: »Normalerweise würde ich diesen Selbstmord nicht in Zweifel ziehen, Mancini scheint ein einsamer, desillusionierter Mensch gewesen zu sein. Doch angesichts von zwei Morden, die zunächst auch nach Unglücksfällen aussahen, muss man skeptisch sein. Aber das Schreiben scheint echt zu sein. Ich denke, wir müssen Gemini verhaften.«
Vincenzo stand auf und steckte seine Waffe ins Holster. »Stimmt, Marzoli, also, gehen wir! Nehmen Sie sich ruhig noch ein paar Cantuccini als Wegzehrung mit.« Marzoli wäre es niemals in den Sinn gekommen, in diesem freundlichen Angebot seines Kollegen eine ironische Anspielung zu sehen. Er griff ausgiebig zu.
***
»Was soll das heißen, Mancini ist tot? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Signora Addazio vernahm durch den Hörer einen aufgebrachten Mantinger. »ObjekTeam steht vor der Pleite, ich habe keinen Sinn für solche Scherze!«
»Das ist kein Scherz, er hat sich umgebracht, erschossen, mein Gott, ich kann es noch gar nicht fassen!« Die Assistentin, der die Tränen übers Gesicht liefen, schniefte.
»Das kann doch nicht wahr sein! Wann und wo?«
»Eine Kollegin hat ihn tot in seiner Wohnung gefunden, es muss schrecklich gewesen sein.«
»Warum hat er das denn getan?«
»Woher soll ich das wissen? Frau weggelaufen? Alkohol? Keine Ahnung.« Was um Himmels willen wollte dieser Kerl von ihr?
»Hören Sie, Signora, das ist entsetzlich, ein Drama, aber ich habe hier auch ein Drama. Ein Drama mit Hunderten von Betroffenen, nämlich Mitarbeitern, die in Kürze auf der Straße stehen könnten. Wie kriegen wir jetzt das Geld von der IFS für die ObjekTeam?«
»Nur Mancini und sein Stellvertreter Pacelli sind für die IFS zeichnungsbefugt, soviel ich weiß. Und Pacelli ist in Griechenland.«
Mantingers Stimme wurde lauter. »Genau so habe ich mir das vorgestellt, eine aufgeblähte, unorganisierte Behörde. Es geht um zig Arbeitsplätze, aber im Amt hält man es nicht für nötig, vernünftige Vertretungsregelungen festzulegen, unglaublich. Rufen Sie sofort diesen Pacelli an!«
Bei Mantingers barschen Worten verlor Signora Addazio endgültig die Fassung. Sie begann zu schluchzen. »Bitte, Signora, so war das nicht gemeint, das war nicht gegen Sie persönlich gerichtet. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Geben Sie mir Pacellis Rufnummer, am besten Handy und Hotel, dann rufe ich ihn selbst an, einverstanden?«
Signora Addazio konnte nur ein zartes »Moment bitte« hauchen und ihm mit dem letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung die Rufnummern durchgeben.
Entnervt knallte Mantinger den Hörer auf die Gabel. Er wollte gerade wieder abheben, um in Griechenland anzurufen, als er auf dem Flur zwischen den Büros ein wildes Stimmengewirr vernahm. Er öffnete seine Bürotür und sah einen tumultartigen Menschenauflauf. Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, was geschah. Bellini, Marzoli und zwei uniformierte Polizisten hielten Gemini an beiden Armen. Er trug Handschellen. Das
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