Das Monstrum
Die Einfahrt der Browns war von Blöcken gesäumt, die Bryant auf Maries Betreiben dort angebracht hatte. Auf jeden stellte sie einen Topf, und in jedem Topf wuchs eine andere Sorte Zierpflanze oder Blume. Im Alter von drei Jahren stieg Hilly eines Tages aus seinem Bettchen, in dem er ein Nickerchen halten sollte (»Warum muss ich ein Nickerchen machen, Mama?«, hatte Hilly gefragt. »Weil ich die Pause brauche, Hilly«, hatte seine erschöpfte Mutter geantwortet), kletterte zum Fenster hinaus und stieß alle zwölf Töpfe mitsamt den Blöcken um. Als Marie sah, was Hilly angestellt hatte, weinte sie so untröstlich wie über die Blasen an den Daumen des armen Jungen. Als er sie weinen sah, war Hilly ebenfalls in Tränen ausgebrochen (mit den Daumen im
Mund, er versuchte, an beiden gleichzeitig zu lutschen). Er hatte die Blöcke und Töpfe nicht aus Bosheit umgestoßen – es schien ihm einfach eine gute Idee zu sein.
»Du machst dir keine Gedanken über die Kosten, Hilly«, sagte sein Vater bei diesem Anlass. Bis zum 17. Juli 1988 sollte er es noch häufig sagen.
Im Alter von fünf Jahren setzte sich Hilly auf seinen Schlitten und schoss an einem Dezembertag die vereiste Einfahrt der Browns hinab und auf die Straße hinaus. Der Gedanke, erzählte er später seiner schreckensbleichen Mutter, dass auf der Derry Road etwas entlangkommen könnte, war ihm überhaupt nicht gekommen; er war aufgestanden, hatte das Eis glitzern gesehen und sich lediglich gefragt, wie schnell sein Flexible Flyer die Einfahrt hinabsausen würde. Marie sah ihn, sah den Tanklastwagen, der die Route 9 entlangdröhnte, und kreischte Hillys Namen so laut, dass sie die beiden darauffolgenden Tage kaum noch flüstern konnte. Als sie in dieser Nacht zitternd in Bryants Armen lag, sagte sie ihm, dass sie den Grabstein des Jungen auf dem Homeland-Friedhof gesehen hatte – tatsächlich gesehen: Hillman Richard Brown, 1978-1983, Zu früh von uns gegangen.
»Hiiillyyyyyyyy!«
Beim Schrei seiner Mutter, der ihm so laut wie ein Düsenflugzeug vorkam, warf Hilly den Kopf herum. Das hatte zur Folge, dass er vom Schlitten fiel, bevor dieser am Ende der Einfahrt angekommen war. Die Einfahrt war asphaltiert, die Eisdecke ziemlich dünn, und Hilly hatte nie das besessen, womit Gott die meisten draufgängerischen, aktiven Kinder segnet – Glück beim Stürzen. Er brach sich den linken Arm direkt über dem Ellenbogen und prallte so heftig mit der Stirn auf, dass er ohnmächtig wurde.
Sein Flexible Flyer schoss auf die Straße hinaus. Der Fahrer
des Webber Tanklastwagens reagierte, bevor er sehen konnte, dass niemand auf dem Schlitten saß. Er riss das Lenkrad herum, und der Tanklastwagen schlitterte mit der Anmut des Elefantenballetts in Fantasia in eine niedrige Schneeverwehung. Er durchbrach sie und blieb beängstigend zur Seite geneigt im Straßengraben liegen. Weniger als fünf Minuten, nachdem sich der Fahrer aus der Kabine befreit hatte und zu Marie Brown gelaufen war, kippte der Lastwagen um und lag wie ein totes Mastodon im Schnee; teures Superbenzin gluckerte aus den drei Überlaufventilen.
Marie lief mit ihrem bewusstlosen Kind in den Armen die Straße hinab und schrie. In ihrem Entsetzen und ihrer Verwirrung war sie überzeugt, dass Hilly überfahren worden sein musste, obwohl sie ganz deutlich gesehen hatte, wie er am Ende der Einfahrt vom Schlitten gefallen war.
»Ist er tot?«, schrie der Lastwagenfahrer. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Gesicht weiß wie Papier, seine Nackenhaare waren gesträubt. Im Schritt seiner Hose breitete sich ein dunkler Fleck aus. »Heiligemariamuttergottes, ist er tot?«
»Ich glaube schon«, weinte Marie. »Ich glaube, er ist tot, oh, ich glaube, er ist tot.«
»Wer ist tot?«, fragte Hilly und schlug die Augen auf.
»O Hilly, Gott sei Dank!«, schrie Marie und umarmte ihn. Hilly schrie mit großem Enthusiasmus zurück. Sie drückte die gesplitterten Bruchstellen der Knochen seines linken Arms aufeinander.
Hilly verbrachte die nächsten drei Tage im Derry Home Hospital.
»Das wird ihn zumindest verlangsamen«, sagte Bryant Brown am nächsten Abend beim Essen, das aus gebackenen Bohnen und Hotdogs bestand.
Ev Hillman aß an diesem Abend zufällig bei ihnen; seit
seine Frau gestorben war, tat Ev Hillman das ab und zu, aber nicht öfter als an fünf Abenden pro Woche. »Wollen wir wetten?«, sagte Ev daraufhin und kicherte, den Mund voll Maisbrot. Bryant warf seinem Schwiegervater einen verärgerten
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