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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Blick zu und sagte nichts.
    Wie üblich hatte Ev recht – das war einer der Gründe, warum sich Bryant so oft über ihn ärgerte. In seiner zweiten Nacht im Krankenhaus, als die anderen Kinder der Kinderstation schon lange schliefen, beschloss Hilly, auf Entdeckungsreise zu gehen. Wie er an der Aufsichtsschwester vorbeikam, bleibt ein Geheimnis, aber er kam an ihr vorbei. Um drei Uhr morgens wurde sein Verschwinden entdeckt. Eine sofortige Suche in der Kinderstation konnte ihn nicht zutage fördern. Auch keine Suche auf dem gesamten Stockwerk. Der Sicherheitsdienst wurde hinzugezogen. Man begann eine Durchsuchung des ganzen Krankenhauses – Angestellte, die bislang lediglich erbost gewesen waren, machten sich nun Sorgen –, fanden aber nichts. Hillys Vater und Mutter wurden angerufen und kamen sofort; sie sahen aus, als hätten sie einen Schock erlitten. Marie weinte, aber wegen ihres geschwollenen Kehlkopfs kam nur ein röchelndes Krächzen heraus.
    »Wir glauben, dass er irgendwo aus dem Gebäude hinausgelaufen sein muss«, informierte sie der Verwaltungsdirektor.
    »Wie, zum Teufel, kann ein Fünfjähriger einfach aus dem Gebäude hinauslaufen? «, brüllte Bryant. »Was habt ihr denn hier für einen Saftladen?«
    »Nun … nun … Sie müssen verstehen, dass es sich hier nun mal nicht um ein Gefängnis handelt, Mr. Brown …«
    Marie unterbrach sie beide. »Sie müssen ihn finden«, flüsterte sie. »Draußen sind minus fünf Grad. Hilly hat nur einen Pyjama an. Er könnte … er könnte …«

    »Oh, Mrs. Brown, ich finde wirklich, solche Sorgen sind verfrüht«, unterbrach sie der Verwaltungsdirektor mit einem zuversichtlichen Lächeln. Aber in Wirklichkeit fand er nicht, dass sie verfrüht waren. Nachdem er festgestellt hatte, dass der Junge schon kurz nach der Runde um dreiundzwanzig Uhr verschwunden sein konnte, hatte er als Erstes in Erfahrung gebracht, welche Temperatur draußen herrschte. Die Antwort hatte einen Anruf bei Dr. Elfman zur Folge, der sich auf Fälle von Unterkühlung spezialisiert hatte – im Winter gab es viele in Maine. Dr. Elfmans Prognose war ernst. »Wenn er hinausgelaufen ist, ist er wahrscheinlich tot«, hatte Elfman gesagt.
    Eine weitere Durchsuchung des gesamten Krankenhauses, diesmal von der Polizei und Feuerwehr von Derry verstärkt, ergab ebenfalls nichts. Man verabreichte Marie Brown ein Beruhigungsmittel und brachte sie zu Bett. Die einzige gute Nachricht war negativer Natur: Bisher hatte niemand den mit einem Pyjama bekleideten erfrorenen Leichnam des Jungen gefunden. Natürlich musste der Verwaltungsdirektor daran denken, dass der Penobscot nicht weit am Krankenhaus entfernt vorbeifloss. Seine Oberfläche war zugefroren, es war möglich, dass der Junge versucht hatte, das Eis zu überqueren, und eingebrochen war. Oh, wie sehr er sich wünschte, die Browns hätten ihren Balg ins Eastern Maine Medical gebracht!
    Am Nachmittag um zwei Uhr saß Bryant Brown benommen auf dem Stuhl neben seiner schlafenden Frau und überlegte, wie er ihr beibringen konnte, dass ihr einziges Kind tot war, wenn es notwendig sein sollte. Etwa zur selben Zeit bot sich einem Hausmeister, der im Keller war, um die Kessel der Wäscherei zu überprüfen, ein seltsamer Anblick: Ein kleiner Junge, der nur eine Pyjamahose und einen Gips am linken Arm trug, schlenderte barfuß und
unbedarft zwischen zwei der riesigen Heizkessel des Krankenhauses herum.
    »He!«, rief der Hausmeister. »He, Junge!«
    »Hi«, sagte Hilly und kam zu ihm herüber. Seine Füße waren schwarz vor Schmutz; die Pyjamahose ölverschmiert. »Mann, ist das ein großes Haus! Ich glaube, ich habe mich verlaufen.«
    Der Hausmeister trug Hilly nach oben in das Büro der Verwaltung. Der Direktor setzte Hilly auf einen großen Ohrensessel (den er zuvor vorsichtshalber mit einer aufgeschlagenen Doppelseite der Bangor Daily News abgedeckt hatte) und schickte seine Sekretärin hinaus, um eine Pepsi-Cola und eine Tüte Reese’s Pieces für das Balg zu holen. Unter anderen Umständen wäre der Direktor selbst gegangen, um den Jungen mit seiner großväterlichen Güte zu beeindrucken. Unter anderen Umständen – damit meine ich, dachte der Direktor grimmig, bei einem anderen Jungen. Er traute sich nicht, Hilly allein zu lassen.
    Als die Sekretärin mit dem Getränk und den Süßigkeiten zurückkam, schickte der Direktor sie wieder weg – diesmal zu Bryant Brown. Bryant war ein starker Mann, aber als er Hilly auf dem Ohrensessel des Direktors

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