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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Lester, der jetzt außer Rauch auch Luft einatmete, die praktisch jeden anderen Menschen auf der Welt umgebracht hätte, stand am Straßenrand und betrachtete wie hypnotisiert den schlaffen weißen Arm, der aus dem abgetrennten Fahrerhaus des Pumpwagens heraushing. Rinnsale trocknenden Blutes liefen an der weißen und verletzlichen Unterseite des Arms herunter.
    Hier stimmt etwas nicht. Hier stimmt eine ganze Menge nicht. Hier ist mehr los als nur ein Waldbrand. Du musst hier verschwinden, Les.
    Aber stattdessen wandte er sich wieder dem Feuer zu und war verloren.
    Der Rauchgeruch in der Luft war jetzt stärker. Das Geräusch des Brandes war kein Knacken mehr, sondern rollender Donner. Plötzlich fiel ihm die Wahrheit wie ein Eimer voll Beton auf den Kopf. Niemand bekämpfte dieses Feuer. Überhaupt niemand. Aus irgendwelchen Gründen, die er nicht verstehen konnte, hatte keiner in dieses Gebiet gekonnt oder durfte nicht in dieses Gebiet. Als Folge dessen
brannte das Feuer unkontrolliert, und mit Unterstützung des auffrischenden Windes wuchs es wie ein radioaktives Monster in einem Horrorfilm.
    Diese Vorstellung machte ihn krank vor Entsetzen … und Erregung … und dunkler, ungesunder Freude. Es war schlimm, so etwas wie das Letzte zu empfinden, aber die Freude war da und unmöglich zu bestreiten. Und er war keineswegs der Einzige, der sie je empfunden hatte. Diese dunkle Freude schien ein Teil jedes Feuerwehrmannes zu sein, dem er jemals einen Drink spendiert hatte (und das war nahezu jeder Feuerwehrmann, den er je getroffen hatte, seit er bei seinem eigenen Eignungstest für die Bostoner Feuerwehr durchgefallen war).
    Er stolperte zu seinem Auto zurück, ließ es mit einigen Schwierigkeiten an (er vermutete, dass er in seiner Aufregung den verdammten alten Dinosaurier beinahe hatte absaufen lassen), drehte die Klimaanlage ganz auf und fuhr wieder in Richtung Haven. Ihm war bewusst, dass das Idiotie der reinsten, sonnenklarsten Art war – schließlich war er nicht Superman, sondern ein fünfundvierzigjähriger Schulbuchverkäufer, dem die Haare ausgingen und der immer noch Junggeselle war, weil er zu schüchtern war, sich mit Frauen zu verabreden. Aber er benahm sich nicht nur idiotisch. So streng dieses Urteil auch war, blieb es trotzdem nur eine Rationalisierung. Die Wahrheit war, dass er sich wie ein Wahnsinniger benahm. Und dennoch konnte er sich ebenso wenig Einhalt gebieten wie ein Junkie, der seinen Schuss im Löffel kochen sieht.
    Er konnte es nicht bekämpfen …
    … aber er konnte es sich immerhin ansehen.
    Und es würde sicher ein Anblick sein, nicht?, dachte Lester. Schweiß rann ihm bereits übers Gesicht, wie in Erwartung der vor ihm liegenden Hitze. Ein toller Anblick, ja. Ein
Waldbrand, der aus irgendwelchen Gründen völlig unbekämpft und unkontrolliert lodern konnte, so wie vor Jahrmillionen, als der Mensch noch wenig mehr war als ein kleiner Stamm haarloser Affen, die in den beiden Zwillingswiegen des Nils und des Euphrats kauerten, und die großen Brände durch spontane Entzündung, Blitzschlag oder Meteoreinfall verursacht wurden, anstatt von betrunkenen Jägern, die es einen Scheißdreck kümmerte, was sie mit ihren Zigarettenkippen anrichteten. Es würde ein grellorangefarbener Ofen sein, eine neunzig Fuß hohe Feuerwalze im Wald; es würde über die Lichtungen und Gärten und Wiesen rasen wie ein Präriefeuer in Kansas um 1840, und es würde Häuser so schnell verzehren, dass diese Häuser durch den plötzlichen Druckunterschied implodierten wie die Häuser und Fabriken während der Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg. Er würde sehen können, wie die Straße, auf der er sich befand, genau diese Straße, in diesem Ofen verschwand wie ein Highway in die Hölle.
    Der Asphalt selbst, dachte er, würde erst anfangen, in klebrigen kleinen Rinnsalen wegzufließen … und dann brennen.
    Er trat fester aufs Gas und dachte: Wie könntest du nicht weiterfahren? Wenn man die Chance hatte, so etwas zu sehen – eine Chance, die man nur einmal im Leben bekam – wie könnte man da nicht weiterfahren?
    6
    »Ich weiß einfach nicht, wie ich meinem Dad das alles erklären soll«, sagte der Verkäufer von Maine Med Supplies. Er wünschte sich, er hätte sich vor vier Jahren nie dafür eingesetzt,
das Geschäft um diese Vermietungen zu erweitern. Das hatte sein Vater ihm zum Vorwurf gemacht, nachdem der alte Mann das Flachpack gemietet und nicht zurückgebracht hatte, und jetzt war überall in Haven die

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