Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
dass du überhaupt noch etwas spüren kannst. Du kannst von Glück sagen, dass du noch am Leben bist.
    Aber in solchen Augenblicken war er sich da nicht so sicher.
    In solchen Augenblicken war er sich da ganz und gar nicht sicher.
    Er legte das Notizbuch mit zitternden Händen beiseite und machte die Augen zu.
    Ich kann es nicht durchstehen.
    Du kannst.
    Ich kann es nicht. Es ist Blutmond, ich spüre es, ich kann es fast sehen.
    Komm mir nicht mit deinem irischen Larifari! Nimm
dich zusammen, du beschissenes kleines Mädchen! Härte zeigen!
    »Ich versuche es«, murmelte er, ohne die Augen zu öffnen, und als er fünfzehn Minuten später ein leichtes Nasenbluten bekam, bemerkte er es nicht. Er war im Sessel eingeschlafen.
    5
    Er hatte immer Lampenfieber vor einer Lesung, auch wenn die Gruppe klein war (und Gruppen, die sich zusammenfanden, um Lesungen moderner Dichtung anzuhören, pflegten genau das zu sein). Am Abend des siebenundzwanzigsten Juni allerdings wurde Jim Gardeners Lampenfieber noch von seinen Kopfschmerzen intensiviert. Als er von seinem Nickerchen im Hotelzimmer erwachte, waren das Zittern und das flaue Gefühl im Magen verschwunden, aber die Kopfschmerzen waren noch schlimmer geworden. Sie hatten sich zu einem Echten Stampfer & Welterschütterer erster Klasse entwickelt, vielleicht dem schlimmsten, den er je gehabt hatte.
    Als er endlich mit Lesen an die Reihe kam, schien er sich wie aus weiter Ferne zu hören. Er kam sich vor wie ein Mann, der eine Aufzeichnung von sich selbst hört, die auf Kurzwelle von Spanien oder Portugal übertragen wird. Dann wogte eine Welle der Benommenheit über ihn hinweg, und ein paar Augenblicke lang konnte er nur so tun, als suchte er nach einem Gedicht, vielleicht einem besonderen Gedicht, das er vorübergehend verlegt hatte. Mit tauben, kraftlosen Fingern hantierte er mit seinen Blättern und dachte: Ich glaube, ich werde ohnmächtig. Direkt hier, vor
aller Welt. Ich werde gegen dieses Pult sinken und mit ihm zusammen in die erste Reihe fallen. Vielleicht kann ich auf dieser blaublütigen Fotze landen und sie umbringen. Dann hätte sich mein Leben fast gelohnt.
    Steh es durch, antwortete diese unerbittliche innere Stimme. Manchmal hörte sich diese Stimme wie die seines Vaters an; häufiger jedoch wie die Stimme von Bobbi Anderson. Steh es durch, das ist alles. Genau das wirst du jetzt tun.
    Das Publikum heute Abend war größer als üblich; vielleicht hundert Leute drängten sich auf den Bänken eines Hörsaals der Northeastern. Ihre Augen kamen ihm zu groß vor. Großmutter, was hast du für große Augen! Es war, als wollten sie ihn mit ihren Augen verschlingen. Seine Seele aussaugen, sein Ka, wie immer man es nennen wollte. Eine Zeile aus einem alten Song von T. Rex fiel ihm ein: Girl, I’m just a vampire for your love … and I’m gonna suck ya!
    Natürlich gab es T. Rex nicht mehr. Marc Bolan hatte sich mit seinem Sportwagen um einen Baum gewickelt und hatte das Glück, nicht mehr am Leben zu sein. Bang-a-Gong, Marc, du hast es eindeutig draufgehabt. Oder nicht drauf. Oder was auch immer. Eine Gruppe namens Power Station wird 1986 deine Songs neu herausbringen, und die wird wirklich schlecht sein, sie … sie …
    Er führte eine unsichere Hand zur Stirn, und ein leises Murmeln lief durch das Publikum.
    Mach lieber weiter, Gard. Die Eingeborenen werden unruhig.
    Ja, das war Bobbis Stimme, wahrhaftig.
    Die Leuchtstoffröhren, die in mit Kieselsteinen besetzten Rechtecke über ihm eingebettet waren, schienen in Zyklen zu pulsieren, die genau mit den Zyklen des Schmerzes übereinstimmten, die sich in seinen Kopf bohrten. Er konnte
Patricia McCardle sehen. Sie hatte ein kleines Schwarzes an, das sicher keinen Penny mehr als dreihundert Dollar gekostet hatte – beim Räumungsverkauf in einem dieser schäbigen kleinen Läden in der Newbury Street. Ihr Gesicht war so verkniffen und farblos und unversöhnlich wie die Gesichter jeder ihrer puritanischen Vorfahren, jenen wunderbaren, humorvollen Männern, die mehr als glücklich gewesen waren, wenn sie einen drei oder vier Wochen lang in ein stinkendes Zuchthaus werfen konnten, weil man das Pech gehabt hatte, am Sabbat ohne Schnupftuch in der Tasche erwischt zu werden. Patricias dunkle Augen ruhten auf ihm wie staubige Steine, und Gard dachte: Sie sieht, was sich hier abspielt, und sie könnte nicht zufriedener sein. Schau sie dir nur an. Sie wartet nur darauf, dass ich herunterfalle. Und du weißt, was sie denken wird,

Weitere Kostenlose Bücher